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Das Studium der Enge

Das FU-Institut für Soziologie kämpft um seine Konsolidierung. Seit zwei Jahren ist die Nachfolge von Professoren unklar, selbst Seminarräume sind knapp. Jetzt sollen zwar neue Hochschullehrer berufen werden, die Studenten demonstrieren trotzdem

von TILL BELOW

Die Soziologie an der Freien Universität (IFS) ist das am schlechtesten ausgestattete Institut Berlins. Zwar drängeln sich hier fast 3.000 Studiernden – 800 im Haupt- und 2.000 im Nebenfach –, doch Lehrkräfte sind eine Rarität. Je nach Zählweise betreut ein Professor 219 bis 400 Studierende. Berlinweit sind sie damit am schlechtesten dran, FU-weit kommen auf einen Lehrstuhl immerhin 65 Studierende. Bei den HU-Sozialwissenschaftlern kommt ein Prof auf 91 Studis. Bald könnte sich das Verhältnis am IFS sogar noch verschärfen. Im kommenden Jahr gehen drei der sieben Institutsprofessoren in Ruhestand.

Schon kursiert das Gerücht, die Uni-Leitung wolle die Gelegenheit nutzen, die Soziologie ganz abzubauen. Die Studierenden – obwohl legitime Nachfolger ihres Kommilitonen Rudi Dutschke – schien das lange wenig zu kümmern. Erst gestern marschierten 150 von ihnen demonstrierend zum FU-Präsidialamt und übergaben dort eine Resolution. Die Personalkrise sei mehr als absehbar gewesen, kritisieren die Studierenden. Die Uni-Leitung habe aber durch immer weitere Auflagen die Neubesetzung der Stellen verhindert.

Dem widerspricht FU-Vize-Präsidentin Gisela Klann-Delius energisch: „Erst jetzt liegt das Gutachten einer unabhängigen Expertenkommission zur Zukunft der FU-Soziologie vor.“ Deren Votum habe sich das Präsidium angeschlossen. „Das ist eine reine Definitionssache“, entgegnet ihr der stellvertretende Institutsdirektor Martin Kohli. Schon nach einer ersten Evaluation vor zwei Jahren hätte man die Neubesetzungen regeln können. Zwar freut er sich, dass am Montag die Berufungskommission für die Professuren eingesetzt werden konnte – zufrieden ist Kohli keineswegs. Seit die Gesellschaftstheoretiker aus ihrem angestammten Gebäude mussten, streiten sie sich mit ihrem neuen Nachbarn, dem Osteuropa-Institut, um die knappen Seminarräume. „Ich weiß nicht, wie das weitergeht, man kann ja nicht handgreiflich werden“, erklärt Kohli.

In einem Punkt war die Einigkeit zwischen Studierenden und Präsidium gestern zumindest groß: die FU-Soziologie sei trotz allgegenwärtiger Sparzwänge unverzichtbar, äußerte man einhellig. Die Begründungen dafür gehen allerdings schon wieder auseinander. Die Vizepräsidentin beruft sich auf das positive Expertengutachten. Zwar gibt es in Berlin zwei weitere Unis, an denen Soziologie studiert werden kann, die FU habe aber einen Ruf als führendes soziologisches Zentrum und Spezifika, die keine der anderen Hochschulen abdecke, heißt es darin. An der Humboldt-Uni wird Soziologie lediglich in Kombination mit Politikwissenschaften angeboten, die TU ist spezialisiert in die technikwissenschaftlicher Richtung. Die longitudinalen Studien, die Biografieforschung und ein hoher „Output“ an Habilitationen gelten als Stärken der FU, urteilte das deutsch-schwedische Wissenschaftlerteam. Für Klann-Delius steht daher fest: „Die Soziologie ist genau so gesichert oder ungesichert wie alle anderen Bereiche der FU.“

Für Studentin Nina Bopp von der Fachschaftsinitiative liegt die Stärke des IFS hingegen in der Ausrichtung auf grundlegende theoretische Analysen. An vielen anderen Unis werde das Fach nicht mehr in seiner Eigenständigkeit diskutiert, „es läuft dort auf eine anwendungsorientierte Oberflächenanalyse heraus“, meint Bopp. „Von Politikern und Journalisten bekommen die Studierenden häufig vorgeworfen, sie dächten nicht gesamtgesellschaftlich, sondern immer nur an ihre Besitzstandswahrung. Wenn aber, wie am IFS, gesamtgesellschaftlich gedacht wird, wird das ignoriert oder plump in die Marxismus-Ecke gestellt“, konstatiert die ehemalige Hauptschülerin. Ob man das nun bedauert oder nicht, der FU-Soziologe Wolfgang Clemens betont, dass das IFS nie ein rotes Institut war. „Die Mehrzahl der Professoren war immer konservativ. Eine marxistische Tradition gibt es hier nicht mehr“, so Clemens.

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