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Der schwierige Anfang

Bei Geistes- und Sozialwissenschaftlern ist der Einstieg in das Berufsleben häufig recht steinig. Bei der Orientierung und Qualifizierung helfen die drei Hochschulteams der Berliner Arbeitsämter

Jungakademiker erhalten im Einzelfall finanzielle Beihilfen für die Jobsuche

von MARKUS WILD

Zuerst die gute Nachricht: Laut den Berechnungen des – arbeitgebernahen – Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) sollen Akademiker trotz des Konjunkturtiefs „überdurchschnittlich gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ haben. Die Zahl der erwerbstätigen Akademiker stieg 2001 im Vergleich zum Vorjahr um 1,6 Prozent auf über fünf Millionen. Die Quote arbeitsloser Akademiker lag mit mit 3,4 Prozent fast zwei Drittel unter dem allgemeinen Satz von 9,4 Prozent.

Die schlechte Nachricht: Gerade bei Akademikern aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaftler stehen nach den IW-Zahlen die Chancen derzeit nicht so gut wie zum Beispiel bei Informatikern. Auch eine Befragung von 600 Absolventen der Freien Universität Berlin ergab im Sommer, dass der Berufseinstieg der Geistes- und Sozialwissenschaftler, die erst vor kurzem ihren Abschluss gemacht hatten, zumindest „etwas langsamer“ verläuft als bei Hochschulabgängern anderer Fachrichtungen. In Zeiten, in denen „Normalarbeitsverhältnisse“ – also unbefristete Vollzeiterwerbstätigkeiten – immer seltener werden, müssen sie sich zudem häufig von einem Honorarvertrag zum nächsten, von Projekt zu Projekt hangeln.

Das ist ein Trend, der seit Jahren ungebrochen ist: Nach dem Absolventenreport „Magisterstudiengänge“ des Hannoveraner „Hochschul-Informations-Systems“ (HIS) aus dem Jahre 1995 hatten schon damals weniger als die Hälfte der befragten Geistes- und Sozialwissenschaftler ganze fünf Jahre nach ihrem Examen eine unbefristete Vollzeitstelle. Einen Grund dafür sahen die HIS-Forscher allerdings auch darin, dass sich nur jeder Dritte schon vor oder während der Examensphase auf Jobsuche begeben hatte.

Wer sich unsicher ist, zu welchen Aufgaben ihn sein Magister oder Diplom befähigen und was er überhaupt beruflich machen möchte, der kann sich an eines der drei Berliner Hochschulteams der Arbeitsämter wenden. Hier wird Studenten und Jungakademikern bis zu einem Jahr nach ihrem Examen geholfen, den richtigen Weg zu finden. Und das ist gerade in Berlin (Arbeitslosenquote: 16,9 Prozent) nicht unbedingt einfach: Hier ist die Lage auch für Akademiker schwieriger als im Bundesdurchschnitt – von den Ende Oktober bei den Arbeitsämtern gemeldeten rund 287.000 Arbeitslosen waren immerhin rund sieben Prozent Akademiker, mit den Fachhochschulabsoventen erhöht sich ihr Anteil auf über zehn Prozent. Deutlich bemerkbar macht sich zum Beispiel die Krise der Medienbranche: Bei Redakteuren und Journalisten ging die Vermittlungsquote im ersten Quartal 2002 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast die Hälfte zurück. „Aber auch junge Architekten haben es zurzeit sehr schwer“, sagt Christine Witte vom Hochschulteam des Arbeitsamtes Berlin West.

Dass sich die Studenten vor ihrem Abschluss keine Gedanken um ihre berufliche Zukunft machten, kann Witte allerdings nicht betätigen: „Mittlerweile kommen auffällig viele Uni-Absolventen zu uns, die schon während des Studiums etliche Praktika gemacht haben“ – ein Indiz dafür, dass sich viele inzwischen sehr wohl schon während des Studiums um berufsbezogene Qualifikationen bemühen, was ihnen aber angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage nicht immer weiterhilft. Gerade die Geisteswissenschaftler seien „oft sehr breit orientiert“, so Witte, während die Stellenangebote ein scharf umrissenes Profil verlangten. „Darum ist es wichtig, dass man sich auf bestimmte Branchen konzentriert.“

Die Palette von Hilfsangeboten der drei Hochschulteams ist groß: In insgesamt rund 180 Veranstaltungen pro Semester werden Tätigkeitsfelder von Akademikern vorgestellt und kooperierende Unternehmen besichtigt. „Daneben machen wir in Einzelgesprächen natürlich auch persönliche Berufsberatungen“, sagt Witte. Zudem können in Seminaren wertvolle Zusatzqualifikationen erlernt und das richtige Bewerben trainiert werden. Vom Hochschulteam Mitte etwa wird ein ziemlich intensives Training angeboten – bis zu drei Monate lang sieben Stunden die Woche werden von einem externen Träger Bewerbungssstretegien, „Soft Skills“ und Computerkenntnisse geschult.

Mittlerweile kommen viele Absolventen, die schon etliche Praktika gemacht haben

Sensibilisiert werden müssen viele Absolventen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Studiengänge allein schon dafür, dass mittlerweile nicht nur der Ausweg besteht, sich selbstständig zu machen, wenn man im abgespeckten öffentlichen Sektor keine Arbeit findet. Auch die Wirtschaft bietet zunehmend ein Betätigungsfeld für sie. Nach der HIS-Studie über Magisterstudiengänge kam bereits Mitte der 90er-Jahre rund ein Viertel dieser Absolventen in wirtschaftsorientierten Jobs unter.

Wer sich nun aber als vergeistigter Literaturwissenschaftler versteht, der am liebsten Bücher im stillen Kämmerlein liest, oder als kritischer Politologe, der die Gesellschaft verändern möchte und partout nicht in der PR- oder Personalabteilung eines großen Unternehmens arbeiten will, der sollte sich in Ruhe und zielgerichtet weiter umschauen – und über die Angebote der Hochschulteams genau informieren.

Denn diese geben zum Beispiel in Einzelfällen – arbeitslos gemeldeten – Jungakademikern finanzielle Beihilfen bei der Jobsuche durch Zuschüsse für Bewerbungs- und Reisekosten. Eine weitere, wenig bekannte Möglichkeit ist die Förderung von Praktika: Für in der Regel drei Monate kann eine Übergangshilfe von mehreren hundert Euro für ein berufsrelevantes Praktikum beantragt werden. Und sollte sich abzeichnen, dass der Praktikant von dem Unternehmen übernommen wird, dann kann die Förderung sogar auf ein halbes Jahr verlängert werden.

Das komplette Veranstaltungsverzeichnis der drei Berliner Hochschulteams der Arbeitsämter für das Wintersemester 2002/2003 kann beim jeweils zuständigen Hochschulteam bezogen werden (siehe Adressen inder Spalte links).

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