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wir lassen lesenAuf der Piste mit Hemingway und Hesse

Heisenberg löst eine Lawine aus

Wenn man auf Skiern über eine Berglandschaft hinunterfährt, dann spürt man die Wellen, Täler, Erhebungen und Falten der Erde durch die Skier und die Knie hindurch genauso zart und schön, wie wenn ein Liebender mit streichelnder Hand über die Glieder seiner Freundin läuft.“

Ob Hermann Hesse auch mal gestürzt ist? Und gemerkt hat, dass sich das ganz anders anfühlt als die Zärtlichkeiten eines Liebenden? Aber gut, Skifahren hat ihm Spaß gemacht, so viel steht fest. Deshalb darf in einem Buch, das nach eigenen Angaben die „besten Geschichten übers Skifahren“ versammelt, Hesse mitsamt seiner Dauerverzückung natürlich nicht fehlen. Dachte sich zumindest die Herausgeberin Bettina Feldweg. Und hat weitere Schnee- und Ski-Texte typischer Anthologie-Verdächtiger wie Thomas Mann, Ernest Hemingway und Erich Kästner gesichtet und mit einer Reihe recht unterschiedlicher Autoren zwischen zwei Buchdeckel gepresst. Ein buntes Schneetreiben ist das, mit Reinhold Messner, Hans Kammerlander und dem Skispringer Martin Schmitt, Axel Hacke, Jakob Hein und Gaby Hauptmann.

Inzwischen kann man theoretisch jedes Hobby seiner Freunde mit einem zusammengehamsterten Buch belohnen – Lektüre für den Musikliebhaber, Geschichten für den kleinen Tierfreund oder Schmökereien für den Urlauber. Es wird hemmungslos gemischt und gemengt. Der Vorteil solcher Stilbruchfibeln allerdings: Man kann getrost die uninteressanten Geschichten weglassen. Und hoffen, dass man auch mal auf etwas Interessantes stößt. Zum Glück hat Bettina Feldweg auf 310 Seiten wenigstens diese Hoffnung nicht enttäuscht. Sie hat sogar gleich zu Beginn hohe Erwartungen geweckt. Denn dem spannenden Bericht des Polarforschers Fridtjof Nansen über eine beschwerliche Expedition im ewigen Eis folgt bereits ein Höhepunkt des Buches. Es ist eine Anleitung zum Skifahren aus dem Jahr 1925, verfasst vom Skilehrer Hannes Schneider und dem Regisseur Arnold Fanck, der unter anderen mit Luis Trenker und Leni Riefenstahl zusammengearbeitet hat. Sie erklären die Vorteile des langen Skis, was sehr putzig klingt, bedenkt man, dass die Skier heutzutage immer kürzer werden. Ebenso liebenswert altmodisch ist auch das Kapitel über die geeignete Bekleidung für den Skisportler, in dem von wollenen Westen, Sakkos und Walkstrümpfen die Rede ist. Unerhört hingegen kommt die Bemerkung der beiden Almöhis über Damenbekleidung auf der Piste daher: „Hübsch aber sieht nun einmal ein Mädchen in dicken Hosen nur in seltenen Fällen aus, wenigstens für den normalen Geschmack des Mannes. Und nur auf ihn kommt es ja schließlich an.“

Deutlich origineller sind dagegen die Tagebuchaufzeichnungen von Thomas Mann, der sich in St. Moritz mit Schnupfenhals, Kopfschmerz und Erregung plagt und „ganze Tabletten“ einnehmen muss. Kein Wunder, dass er lediglich den Liegestuhl und kein einziges Mal den Lift benutzt. Schwer ist es nicht, den 60-jährigen Schriftsteller an Vitalität zu übertreffen: Der Physiker Werner Heisenberg zum Beispiel war so überschwänglich im Tiefschnee unterwegs, dass er eine Lawine auslöste – abends plauderte er aber wieder seelenruhig mit seinen Freunden über Quantentheoretisches. Après-Ski mit Antiteilchen.

Dass das Skifahren im Lauf der letzten hundert Jahren an Freizeitwert eingebüßt hat, machen im Gegensatz zu den Schnee-Schwärmeien der ausgewählten Klassiker zwei Texte deutlich. Herbert Rosendorfer kann nicht verstehen, wieso Skifahren zum Volkssport wurde, und illustriert seine Zweifel anschaulich („Nach Stunden erreicht der blaugefrorene Skifahrer den Lift. Gegen eine horrende Summe wird der Skifahrer auf eine kalte Stange gesetzt und hinaufgezogen.“) Und wer Jakob Heins Bericht über seinen ersten Skiurlaub liest, ahnt, dass er sich in Zukunft nicht mehr „von alten Omis in Knisteranzügen überholen und verlachen“ lassen wird.

Es gibt sie also, die kleinen literarischen Highlights. Unter einer Menge Schneeverwehung muss man sie allerdings zielsicher freischaufeln. 150 Seiten leichter – ohne unverständliche Romanauszüge und kitschige Yeti-Romantik – hätte das Buch vielleicht das erreicht, was die Herausgeberin verspricht: nämlich Skifahrerherzen höher schlagen lassen. Kurioserweise hat Bettina Feldweg übrigens auch schon mal die Wüstenexpertin gegeben und einen Auswahlband über das genaue Gegenteil vom Skifahren zurechtklabautert: „Den Dünen entgegen. Für alle, die die Wüste lieben“. Für alle, die dringend noch Weihnachtsgeschenke benötigen. JUTTA HEESS

Bettina Feldweg (Hrsg.): „Bretter, die die Welt bedeuten – Die besten Geschichten übers Skifahren“. Malik Verlag 2002, 310 Seiten, 16,90 Euro

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