: Das Land am anderen Ufer
Vergangenheitsbewältigung: „Aus der Kolonie nichts als Gutes. Niederländisch-Indien in Bildern 1912–1942“, eine Ausstellung im Filmmuseum Amsterdam, zeigt Spiel- und Dokumentarfilme aus der Zeit, als Indonesien noch holländische Kolonie war
von HENK RAIJER
Reminiszenzen an eine vergangene Kultur: ein wohlgenährter Mann in weißer Uniform, der nach getaner Büroarbeit im feuchtheißen Batavia im höher gelegenen Weltevreden bei einem Drink auf der Veranda den tropischen Feierabend genießt; eine junge Frau in hoch geschlossenem Gewand beim Tee im hauseigenen Park, die, quasi entschuldigend, in die Kamera lächelt, weil sie dem patzenden Dienstmädchen einen Rüffel erteilen muss; blonde Kinder, die unter der Obhut einer älteren Javanerin auf der Terrasse Nikolausgeschenke auspacken.
Munter, so scheint’s, war das Kolonialistenleben. Ob nun Bilder vom Sonntagsausflug mit dem ersten eigenen T-Ford zum Vulkan, vom Zahltag für die Kulis auf einer Zuckerplantage in Zentraljava oder von einer Tanzparty in der Villa des Besitzers einer Goldmine im Südwesten Sumatras – die Filmkamera dokumentiert „good news“ für die Heimatfront, eine heile Welt für die Lieben im fernen Mutterland. Zum Teil erfrischend dilettantisch, zum Teil aber auch anspruchsvoll, mit bemerkenswertem Gespür für Licht und Schnitt.
„Aus der Kolonie nichts als Gutes. Niederländisch-Indien in Bildern 1912–1942“ heißen die Ausstellung und die Filmreihe, die noch bis zum 24. Dezember im Amsterdamer Filmmuseum zu sehen sind. Es ist das erste Mal, dass das Haus am Vondelpark der Öffentlichkeit eine solch umfassende Auswahl ihrer „Indien“-Filmproduktion präsentiert. Anlass für die Ausstellungsmacher war der 400. Jahrestag der Gründung der Vereinigten Ostindienkompanie (VOC), die seit 1602 für zwei Jahrhunderte die Ausplünderung Indonesiens organisierte, bevor sie am 1. Januar 1800 den lukrativen Kolonialbesitz dem Staat überschrieb; der freilich entließ das südostasiatische Inselreich erst 1949, nach vierjährigem Krieg gegen Sukarnos Nationalisten und auf Drängen der UNO in die Unabhängigkeit.
Von gut 800 archivierten Filmen aus der Kollektion des Amsterdamer Tropenmuseums hat das Filmmuseum etwa 200 Titel in sein Programm aufgenommen. Neben home movies aus den Privatsammlungen holländischer Familien, die mit 16-mm-Projektoren in zwei „Wohnzimmern“ im oberen Stock des Hauses in Dauervorführung gezeigt werden, sind Dokumentar- und Spielfilme zu sehen: Dramen wie „Insel der Dämonen“ (1933) oder „Rubber“ (1936).
Bei den Dokumentarfilmen handelt es sich meist um Propaganda, die nichts Geringeres als die Einführung der überlegenen westlichen Zivilisation in Niederländisch-Indien belegen soll: Bilder von der Ankunft des Dampfers „Rembrandt“ in Tandjong Priok (1913), dem Hafen von Batavia (Jakarta); Bilder auch von der Kautschukernte im Osten Sumatras (1917), von den Ölfeldern Borneos bei Balikpapan (1924), von europäisch geprägter Architektur in Buitenzorg (Bogor) oder vom Straßenverkehr in Surabaya (1929), der dem europäischer Hauptstädte in nichts nachsteht. Kurzum: eine sich dynamisch entwickelnde Gesellschaft im Schatten schlanker Palmen. Bei so manchem „Vertriebenen“ mögen die schwarzweißen Bilder Erinnerungen an „dunkle Bambussträucher, fröhliche, Reis erntende, hellbraune Menschenkinder und dolce far niente“ wecken, wie es im Begleitheft heißt.
Unfreiwillig komisch ist der Kurzfilm „Mina das Dienstmädchen geht einkaufen“ (1914). Die Botschaft: Lass sie keinen Augenblick aus den Augen, sie hintergehen dich, wo sie nur können. Mina, eine junge Maduresin in Diensten einer holländischen Beamtenfamilie, soll auf den Pesar (Markt), bekommt ein paar Geldstücke, prüft auf dem Weg, ob ein neuer Batikstoff für sie dabei herausspringt, feilscht bei jedem Gemüseankauf und poussiert den halben Tag mit einem Bekannten im Park, bevor sie in das Haus ihrer Herrin zurückkehrt. Die lässt sich das nicht bieten und schickt Mina in ihren „Kampong“, ihr Dorf, zurück.
Mit „Aus der Kolonie nichts als Gutes“ möchte das Filmmuseum dem Gedächtnis der Niederländer auf die Sprünge helfen. Wie in Deutschland die NS-Zeit lange Zeit verdrängt worden ist, war in den Niederlanden das Thema Indonesien und die Gräueltaten der Kolonialarmee noch bis vor kurzem ein Tabu – zu sehr waren die Erinnerungen der Zeitzeugen von den Entbehrungen in den Internierungslagern der japanischen Besatzer (1942–45) geprägt. Noch im August 1995 schlug Königin Beatrix eine Einladung Jakartas zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung mit der (nie öffentlich geäußerten) Begründung aus, Holland hätte an einem solchen Tag keinen Grund zu feiern.
Das Material fasziniert, in Umfang, Aussage und Ästhetik. Ob es allerdings einer kritischen Reflexion über dreieinhalb Jahrhunderte niederländischer Präsenz in Indonesien dienlich ist, sei dahingestellt. Filmamateure wie auch Profis zeichneten naturgemäß ein positives Bild vom Alltag in der Kolonie. Regisseure so genannter Indie-films ignorierten sensible Themen wie den keimenden indonesischen Nationalismus, die wachsende Bedeutung des Islam, die Weltwirtschaftskrise nach 1929 sowie den Einfluss inhaftierter politischer Führer wie Sukarno.
Aus der Kolonie nichts als Gutes eben – Negatives unterlag strengster Zensur, wie in der Doku-Montage „Tillema, de Multatuli van de fotografie“ anklingt. Der Apotheker und Sprudelfabrikant Hendrik Tillema, der in den Zwanziger- und Dreißigerjahren mit den Lebensumständen javanischer Kulis und der Dajaks auf Borneo konfrontiert wurde, versorgte die von der Cholera Heimgesuchten nicht nur mit sauberem Wasser und ließ eine Kanalisation anlegen. Er fotografierte und filmte auch vor Ort („Naar Apo-Kajan!“, 1933), und was seine Kamera festhielt, war nicht gerade schmeichelhaft für das Gouvernement in Batavia. Noch dazu, weil die Regierung im fernen Holland schon zwei Jahrzehnte zuvor versprochen hatte, die Völker Indonesiens „aus Armut und Abhängigkeit zu befreien“ und sie „zur Selbständigkeit zu erziehen“. Tillema, der die um die Jahrhundertwende von Den Haag proklamierte „ethische Politik“ ernst nahm, musste erfahren, dass man in Batavia sein Engagement nicht gerne sah. Seine Post wurde kassiert, Fotos verschwanden vor dem Versand ins Mutterland.
In einigen Filmen kommen sie vor, die Völker Indonesiens: als Teil der Flora und Fauna weit entfernter Tropenparadiese, wo Filmemacher im Schutz der holländischen Trikolore 1921 etwa den Totenkult der Toradja auf Celebes (Sulawesi) dokumentierten. In Balikpapan auf Borneo werden 1924 Dajaks („Wilde im wahrsten Sinne“) beobachtet, wie sie Lasten für die Bataafse Petroleum Maatschappij (BPM, später: Königliche Shell) durch schlammige Straßen schleppen („Der Eingeborene hält Pferde für überflüssig“). In Palembang auf Sumatra knien sonntags junge Mädchen vom Volk der Gadir vor einer Wanne mit betäubenden Essenzen, wiegen den Kopf, verzerren das Gesicht und tanzen stundenlang wie in Trance im Kreise der Frauen. Die Männer, die werktags für die BPM arbeiten, geben sich derweil dem Genuss von Zuckerrohrschnaps hin. Die Jungs lernen in der Koranschule „mohammedanische Verse runterzuleiern“.
Kinematographie im Dienste des Fortschritts und der Aufklärung – der Holländer. Einer der wenigen Filme aus der „Indie“-Kollektion, die sich explizit an die einheimische Bevölkerung richteten, ist der Propagandastreifen „Tanah Sabrang: Das Land am anderen Ufer“. Im Auftrag der Kommission für Emigration und Kolonisation Einheimischer produziert, sollte „Tanah Sabrang“ (1939) die Bauern des dicht bevölkerten Westjava überreden helfen, im Dschungel von Sumatra eine neue Existenz aufzubauen. Der Glaubwürdigkeit halber castete die Crew vor Ort Laiendarsteller, die im Film bei Gamelanklängen die Vorzüge der neuen Heimat besingen. Die japanische Invasion (1942) verhinderte die Implementierung des Transmigrationsprojekts.
Knapp drei Jahrzehnte später war es so weit: Indonesiens Diktator Suharto griff die Pläne der früheren Kolonialherren auf und überzeugte die Bauern des überbevölkerten Java auf seine Weise: ohne Gamelanmusik.
„Aus der Kolonie nichts als Gutes. Niederländisch-Indien in Bildern 1912–1942“: Filmmuseum Amsterdam, Vondelpark 3, bis 24.12.; www.filmmuseum.nl
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