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Ruf! Nicht! An!

„Ich wurde von ‚Goldberg‘ und von ‚San Luca‘ mit Faxen bombardiert“

aus Albershausen HEIDE PLATEN

Jede Zeit hat ihre eigene Plage, der ebenso unweigerlich auch ein Gegner erwächst. Peter Singer hat dem Fax-Spamming den Kampf angesagt. Der promovierte Betriebswirt und Informatiker ist prädestiniert für schwierige Recherchen. Logistikexperten müssen detailversessen sein. Ein Datum kann ihnen zur Obsession werden. Wann er angefangen hat mit seinem Engagement? Peter Singer (56) sitzt an seinem Rechner und klickt sich durch seitenlange Schriftwechsel. Auskünfte „Pi mal Daumen“ gibt er nicht. Juni 2001 war es, als den Firmengründer in Albershausen bei Göppingen die Wut packte. Seither ist er zum Streiter gegen die weltweit agierenden Versender unerwünschter Werbung per Fax geworden. Fabrikverkauf, windige Kredite, Tannenbäume, Sex-Angebote hat er gegen seinen Willen als ratternde Papierschlange offeriert bekommen. Das ist unlauterer Wettbewerb und verboten. Und es störte Singer auch sonst. Sein Papier, seine teuren Tintenpatronen, vor allem aber seine Lebenszeit seien durch die Blockade des Faxgerätes und das Aussortieren solcher Angebote vergeudet worden.

Singer ist eigentlich ein gemütlicher Mann mit Bauchansatz und lustigen braunen Augen unter den dichten Brauen. Er sei nun wirklich keiner, der „gleich auf 180 ist“. Schon gar nicht bei Petitessen wie Werbe-Faxen. Aber was lästig fällt und den Arbeitsprozess stört, befand der ehemalige Logistik-Manager, das muss abgestellt werden: „Der Ärger hat so weit gereicht, dass ich herausfinden wollte, wer die Absender sind.“ Ein bisschen Ehrgeiz war bei der Suche wohl auch dabei. Er fühlte sich nicht als Robin Hood, als Kämpfer für die Rechte der Armen und Betrogenen. Dass sich ungefähr ein Drittel der Firmen hart am Rande der Legalität bewegt, manche gar betrügerische Angebote offerieren und ohne Gegenleistung nur die überhöhten Telefongebühren abzocken wollen, war ihm zunächst egal: „Ich wollte nur, dass der Terror aufhört.“

Das windige Geschäft rechnet sich. Pro Werbeaktion, hat Singer sich von einem Insider erklären lassen, werden 10.000 Faxe versandt. Zwei bis drei Prozent der Angeschriebenen fallen auf das Angebot herein und rufen die angegebene, teure 0190-Nummer tatsächlich an. Singer zieht den Taschenrechner. Durchschnittlich 40 Euro Gebühr pro angefangene Stunde mal 250 Anrufer, das ergibt immerhin die stattliche Summe von 10.000 Euro. Da läppert sich, pro Versender zehn- bis vierzigmal im Jahr wiederholt, ein Umsatz von bis zu einer halben Million Euro zusammen. Die eigenen Kosten sind gering. Die Faxe werden nachts und am Wochenende zu Billigtarifen versandt.

Besonders dreiste Firmen verdienen noch an dem Wunsch, die unerbetene Plage wieder loszuwerden. Neben dem gesetzlich vorgeschriebenen, meist mikroskopisch kleinen Hinweis auf den Minutenpreis des Anrufes setzen sie auch gleich eine Telefonnummer, unter der unwillige Kunden den Fax-Service wieder abbestellen können: eine 0190-Nummer, an der ebenfalls verdient wird. Die Abbestellungen werden von einem Automaten registriert, der langwierig Fragen stellt, Tastatureingaben nicht annimmt und die Abbestellungen schlussendlich ignoriert: „Nach dem dritten bis zehnten vergeblichen Beschwerdeanruf haben die auch daran gut verdient.“ Singer empfiehlt deshalb den Postweg. Und einen schlichten Formbrief: „Ich wünsche keinerlei Faxe mehr!“

Wie aber schickt man einer Firma einen Brief, die gar keine, eine falsche oder eine Postfachadresse auf Karibikinseln angibt? Da nützt detektivische Detailversessenheit. Die Suche führt über den Verkauf der Handelsware 0190-Nummern zum Ziel, der Weg ist lang. Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post teilt den großen Netzbetreibern Nummernblöcke zu, diese verkaufen die gebührenträchtigen Zahlenkombinationen im Paket an Subunternehmer. Die wiederum fungieren als Vermieter an Einzelkunden, mit denen sie die Konditionen aushandeln und dafür einen Teil der Gebühren bekommen. „Die gefährlichsten“, weil teuersten Nummern, warnt Singer, seien die, bei denen nach der 0190 eine weitere Null folge. Sie seien nicht an gesetzliche Tarife gebunden.

Für den Missbrauch am Ende der Kette fühlt sich niemand verantwortlich: „Jeder verdient natürlich dran.“ Singer recherchierte, trieb die Subunternehmer auf und bekam über sie die Anschriften der Einzelkunden. „Der Markt“, stellte er fest, „ist klein“ und wäre deshalb leicht zu kontrollieren, wenn das nur jemand täte. Es seien „immer wieder dieselben“ Unternehmen, die durch „unseriöse bis kriminelle“ Praktiken auffielen. Manche Netzbetreiber wollten nicht zu Mitwissern werden, reagierten prompt und ließen die Nummern sperren, manche zögerten. Die meisten Firmen stellten die Faxzusendung nach Erhalt der postalischen Beschwerde sofort ein. Nach und nach entstand eine Adressenliste, die Singer auf seiner Internetseite www.optimasoftware.de veröffentlichte. Seither melden sich Betroffene bei ihm.

Die Dankesschreiben machen ihn ein bisschen verlegen. „Mit großer Begeisterung“, eine „ausgesprochen positive Initiative“, „Danke, den Schlingel nehme ich mir vor“, „Wir sind seit Monaten genervt“, „Ich wurde monatelang von ‚Goldberg‘ und in geringerem Maße von ‚San Luca‘ mit unerwünschten Faxen bombardiert“, „Ich habe es geschafft, die Bösewichter zum Schweigen zu bringen“, mailten ihm Leidensgefährten.

Das Ausmaß der Belästigung, sagt Singer, sei ihm erst durch die zahlreichen Rückmeldungen klar geworden. Vorher habe er über „manche Schlitzohren“ noch lachen können, über solche zum Beispiel, die zum teuren Tarif von 22 Euro pro angefangener Stunde eine Liste für „billigeres Telefonieren“ anboten oder – haltet den Dieb! – Hilfe gegen den Faxterror versprachen oder als vermeintliche Bürgerinitiativen zu Protestaktionen gegen die Regierenden aufriefen. Für Singer sind es – trotz wechselnder Namen, immer dieselben Pappenheimer. „Da sind schon welche dabei, die es faustdick hinter den Ohren haben.“ Mit manchen hat er Kontakt aufgenommen, unter anderem mit „Hans-Peter Dürrkopf“, der seine Ratschläge als journalistisch aufgemachte Lebenshilfe verbrämt.

Aber mit lustig sei bei ihm inzwischen „endgültig Schluss“, wenn er merke, dass gerade die Hilfesuchenden, „denen es schon schlecht genug geht“, betrogen werden, wenn Arbeitslosen, Verschuldeten, Übergewichtigen und Kranken falsche Hoffnungen gemacht werden, um sie ans Telefon zu treiben. Sozial engagiert habe er sich vorher noch nie, nur „immer schon etwas für Gerechtigkeit übrig“ gehabt. Und solche Praktiken empfinde er „als Gemeinheit hoch drei“.

So ist er unversehens zum Alltagshelden geworden, ein kleiner Unternehmer gegen die „0190-Mafia“. Besonders ältere Menschen, sagt Singer, seien es nicht gewohnt, nachts angeklingelt zu werden, bekämen einen Schrecken, weil sie erst einmal schlechte Nachrichten befürchteten, wenn das Telefon zur Unzeit läute. Kleine Unternehmer, Spediteure, Taxibetreiber würden aus dem Schlaf geholt, weil sie Kundennotrufe vermuteten, Sicherheitsfirmen rechnen rund um die Uhr mit einem Alarm: „Das kann mich echt auf die Palme bringen.“

Die Erfolge machen Singer nun zu schaffen. Eigentlich hatte er nicht mit einer solchen Ausweitung seiner Privatinitiative gerechnet. Was ihn das alles gekostet habe, darüber wolle er lieber gar nicht erst nachdenken, „sonst wird es mir schwarz vor Augen“. Seine Firma für Logistik-Software sei, sagt er besorgt, „noch sehr jung“, Geld und Zeit seien knapp. Da sind Abmahnungen und Schadenersatzforderungen von auf seiner Liste geouteten Subunternehmern und Firmen nicht gerade das, was er brauchen kann, zumal er sich „auf juristischem Neuland“ bewege. Zwei hat er bisher bekommen, eine von einem Provider, dessen Kunde Kredite ohne Schufa-Auskunft anbot. 25.000 Mark forderte er, wenn er weiterhin auf Singers Liste im Internet genannt werde. Singer bat die Industrie- und Handelskammer, den Verbraucherschutzverband, die Wettbewerbszentrale und das Bundesjustizministerium um Hilfe. Alle lobten seine Initiative, Unterstützung aber gab es nicht. Ein befreundeter Anwalt machte sich schließlich an die Arbeit und erstritt die Rücknahme der Klage.

Es sei, stellte Singer inzwischen fest, auch nicht aussichtslos, sich zu wehren, wenn man schon auf nicht erbrachte Dienstleistungen hereingefallen sei. Er empfiehlt, nicht zu zahlen und auf Schadenersatz für die entstandenen eigenen Kosten zu klagen. Inzwischen lernt die Branche dazu. Eine Firma offeriert gesetzestreu eine gebührenfreie Telefonnummer, um die Faxe abzubestellen. Und lässt dort ein Tonband laufen, auf dem eine weibliche Schmusestimme verlockt, neue Nummern zu wählen: „Für unseren Erotik-Service wählen Sie: 0190 - 0 …“

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