: Krieg lohnt sich, Frieden notfalls auch
Erstmals beschreibt ein Buch den unheimlichen Aufstieg der Familie Quandt zur mächtigsten Wirtschaftsdynastie
BERLIN taz ■ Eigentlich sollte die Boulevardpresse an der Familie Quandt große Freude haben. BMWs, Varta-Batterien, Milupa-Babynahrung, Müllsäcke, Medikamente gegen Magengeschwüre, Mauser-Gewehre, Landminen und viele anderen Produkte aus dem Quandt-Imperium sind auf der ganzen Welt verbreitet. Die Eigentümer des Unternehmens sind jedoch selbst in Deutschland kaum bekannt. Jetzt ist das erste Buch über sie erschienen.
Der Wirtschaftsjournalist Rüdiger Jungbluth zeichnet in seiner Biografie – von den Quandts nicht autorisiert – ein anschauliches Porträt der geheimnisvollen Dynastie, die nun schon in vierter Generation ihr Vermögen mehrt. Besondere Aufmerksamkeit widmet das Buch der Verwicklung von Quandt-Firmen in Naziverbrechen. Dem Unternehmerclan wird ein Hang zur Geheimnistuerei nachgesagt. Jungbluth hat erstaunlich viel über das Privatleben herausgefunden, von Ehescheidungsdramen bis zu dem Detail, dass der Rüstungsindustrielle Harald Quandt noch als Erwachsener Micky-Maus-Hefte im Abo bezog.
Ursprünglich waren die Quandts Calvinisten aus Holland. 1883 übernahm Emil Quandt eine Tuchmanufaktur in Preußen; als Uniformschneider der Kaiserlichen Marine wurde er reich. Sein Nachfolger entwickelte ein beachtliches Talent, „in Notzeiten einen persönlichen Vorteil herauszuholen“. Es gibt kaum Desaster der jüngeren deutschen Geschichte, von denen Günther Quandt nicht profitierte: Krieg brachte seinen Waffenfirmen riesige Gewinne, Inflation machte ihn nicht arm, sondern schuldenfrei. Privat musste der „Wehrwirtschaftsführer“ allerdings Rückschläge verkraften: Seine Frau Magda ließ sich scheiden und wurde an der Seite von Propagandaminister Joseph Goebbels Vorzeigeblondine des „Dritten Reichs“.
Nach 1945 wurde Günther Quandt, der tausende Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge unter entsetzlichen Bedingungen hatte schuften lassen, kurz von der US-Militärregierung interniert. Er konnte jedoch seinen Richtern weismachen, dass er von den Nazis „auf das Schwerste verfolgt“ worden sei. Im Gegensatz zu Krupp, Flick und anderen Waffenproduzenten kam er ohne Strafe davon. Seine Erben sind weniger schillernd, aber genauso erfolgreich. Ihr Vermögen wird heute auf über 20 Milliarden Euro geschätzt. MARTIN EBNER
Rüdiger Jungbluth: „Die Quandts. Ihr leiser Aufstieg zur mächtigsten Wirtschaftsdynastie Deutschlands“. Campus Verlag 2002, 390 Seiten, 24,90 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen