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Architektur-AusstellungDas Wunder von Wolfsburg

In den 1960er Jahren baute der finnische Architekt Alvar Aalto in Wolfsburg ein Kulturzentrum. Zurzeit gastiert in der VW-Stadt die Ausstellung "In Sand gezeichnet", die sich Aaltos unrealisierten Entwürfen annimmt.

Dieser Entwurf von Aalto wurde nicht realisiert: Das Kolumbus-Denkmal in Santo Domingo von 1928, der noch dem monumentalen Stil seiner Zeit verhaftet ist. Bild: Alvar Aalto Stiftung Helsinki

Die zentrale Wolfsburger Fußgängerzone ist mehr als eine Zumutung. Sich in sie zu begeben, grenzt an physische Folter: Keine Sichtachsen, keine Weite, auf Schritt und Tritt wird einem der Weg verstellt durch Zweckbauten im Dienst des schnellen Konsums. Noch das Geschäft, das dankenswerter Weise Schmerzmittel bereit hält, trägt die Scheußlichkeit im Namen: "Porsche-Apotheke to go". Wer möchte da nicht schnurstracks wieder gehen?

Und doch lohnt es sich, diese ästhetische Wüste, in der architektonische Verbrechen der letzten vierzig Jahre sich überbieten, vom Bahnhof kommend zu durchqueren. Es lohnt sich, weil fast am Ende der Zone ein kleines Wunder der Baukunst wartet, eine Perle - die freilich nicht mehr auf dieselbe Weise glänzt, seit ihre Schatulle, der ursprüngliche städtebauliche und landschaftliche Kontext des Gebäudes, abhanden gekommen ist. Dieses Gebäude bekam bei seiner Eröffnung 1962 kurz und knapp den Namen "Kulturzentrum" verpasst. Heute heißt es Alvar-Aalto-Kulturhaus und ist eins jener paar Bauwerke, die der legendäre finnische Architekt in Deutschland hinterlassen hat.

In dem Kulturhaus lässt sich zurzeit auch betrachten, was Alvar Aalto (1898 - 1976) leider nicht hat hinterlassen können, sondern "In Sand gezeichnet" hat, wie der Titel Ausstellung lautet, die sich seiner ungebauten Entwürfe annimmt. Für sich genommen wäre die zuvor in Wien, München und Hamburg gezeigte Schau etwas für all jene, die ihren Aalto gut kennen und ihn als einen Architekten verehren, der den Vergleich mit seinen Kollegen Le Corbusier oder Mies van der Rohe nicht scheuen braucht. In den von ihm konzipierten Räumen ermöglicht sie aber auch dem Ahnungslosen, große Architektur zu erleben.

Aalto im Norden

Wolfsburg verfügt über mehr Aalto-Bauten als jede andere Stadt in Deutschland.

Zeitgleich zum 1962 eingeweihten Kulturhaus baute Aalto auch die Heilig-Geist-Kirche mit Gemeindezentrum für den Stadtteil Eichelkamp. Als gestalterisches Grundelement verwendete er das Motiv eines Fächers.

Ein weiteres Gemeindezentrum für den Stadtteil Detmerode begann Aalto 1962 zu planen. Die dazu gehörige Stephanuskirche besticht durch schlichtes Interieur und durch die wie Stoff geschwungene Rückwand des Altarbereichs.

In Bremen errichtete Aalto von 1959 bis 1961 ein Wohnhochhaus für den Stadtteil Neue Vahr. Bemerkenswert ist, dass alle Wohnungen je Stockwerk über verschiedene Grundrisse verfügen.

Das übliche Problem von Architekturausstellungen - die Überforderung der Einbildungskraft - bleibt in Wolfsburg aus. Denn vieles von dem, was sich anhand der Entwurfszeichnungen und Modelle nur schwer erschließt, lässt sich im Gebäude wiederfinden.

Da sind etwa die ehemals als Werkstatt genutzten Ausstellungsräume des Alvar-Aalto-Kulturhauses, hohe, lichte Räume, die sinnlich erfahrbar machen, wie bedeutsam eine Idee für ihn war, die er der japanischen Architektur und den Präriehäusern Frank Lloyd Wrights entlehnt hatte: Innen- und Außenbereiche zu verschmelzen. Das Licht fällt hier auch von oben durch Deckenfenster ein, die sich automatisch aufschieben lassen - und es ermöglichen, an einer Feuerstelle mitten im Raum zu zündeln.

Konsequent hat Aalto in Wolfsburg als Herzstück des Gebäudes dann auch den Dachgarten angelegt. Ob einer nun vom Nordeingang oder vom Südeingang das zweigeschossige Gebäude betritt, immer führen ihn Treppen zuerst zu diesem offenen, gleichwohl eingefassten Raum. Er sollte als eine Art Agora dienen für das Gebäude, das anfänglich drei verschiedene Nutzungen - Bücherhalle, Jugendzentrum und Volkshochschule - unter einem Dach vereinte. Über die Jahre geblieben ist die Bücherhalle, hinzugekommen sind Kulturbehördenbüros und ein Architekturforum.

Auch der Dachgarten ist nicht mehr ganz derselbe: Da sich die Bodenplatten hier leicht angehoben, dort leicht abgesenkt haben - Tanztees mit Blaskapellen belebten in den 60ern die Szenerie - weist er gewisse Ähnlichkeiten auf mit den Luftbildern deutscher Mittelgebirge und lag die letzten Jahre für Veranstaltungen leider brach. Immerhin, die Sanierung ist jetzt im Haushalt für 2011 eingeplant, spätestens zum 50-jährigen Jubiläum des Alvar-Aalto-Kulturhauses 2012 soll sie abgeschlossen sein.

Die Ausstellung "In Sand gezeichnet" hilft, das Wolfsburger Kulturhaus in dem Gesamtwerk des finnischen Architekten zu situieren. Die nicht realisierten Entwürfe sind dabei immer auch in Bezug gesetzt zu den realisierten Bauten. So lässt sich anhand weniger Entwürfe nachvollziehen, wie Aalto vom internationalen Stil zu einer eigenen, humanistisch inspirierten, organischen Architektur fand. Aaltos Entwurf etwa für eine Kolumbusgedenkstätte in der Dominikanischen Republik Ende der 20er Jahre setzt noch aufs Gewaltige, aufs Monumentale; ähnlich sein 1934 entstandener Entwurf für fünf Wohnblöcke in den finnischen Wäldern, der noch einmal Le Corbusiers cartesische Wolkenkratzer und deren Antithese von Kultur und Natur beschwört.

Schon 1937 wendet sich Aalto aber mit dem Bau des finnischen Pavillons für die Pariser Weltausstellung von der Glas-und-Stahl-Moderne des Funktionalismus ab und begibt sich auf die Suche nach einer Alternative, die den Menschen als Maßstab des Bauens ernst nimmt. Aaltos Pläne von 1963 für eine Piazza im kanadischen Montreal zeigen dies deutlich wie die 1969 entstandenen Entwürfe für das Shiraz-Kunstmuseum im Iran: In Aaltos Zeichnungen vollendet das Gebäude geradezu den Hügel, auf den er es setzen wollte.

Die Skizzen und Modelle der Ausstellung thematisieren allerdings nur die Baukörper - und damit den halben Aalto. Das Kulturhaus in Wolfsburg kann das eindringlich bezeugen: Die Deckenlampen, die Leselampen, die Stühle, Hocker, Tische, die Türklinken: alles echte Aaltos. Der finnische Architekt begriff ein Gebäude als Gesamtkunstwerk - ähnlich wie sein jüngerer dänischer Kollege Arne Jacobsen, der Aalto sogar einmal, in Castrop-Rauxel, aus dem Wettbewerb warf. Auch die aufwendigen, hölzernen Deckenraster und die Wandverkleidungen aus kobaldblau glasiertem Porzellan stammen von Aalto.

Verglichen mit den raffinierten, fein abgestimmten innenarchitektonischen Details wirkt das Alavar-Aalto-Kulturhaus von außen geradezu schlicht. Die Flanke des Gebäudes von der Fußgängerzone aus gesehen: ein Schuhkarton auf Stelzen. Die vordere Fassade: schroffe Marmorklippen. Allerdings verfügt auch die Stirnseite über mehr Raffinement, als sich ersehen lässt. Deren gestaffelt abfallende Fassade sollte den Blick frei geben auf die Hügelsilhouette im Hintergrund - eine landschaftliche Einbindung, die im Zug der innerstädtischen Verdichtung später zerstört wurde.

Einladender wirkt das Kulturhaus von außen in der Dämmerung. Die Lampen im Foyer schimmern dann so warm wie die Lichter eines Hafenstädtchens zu Füßen dunkler Felsen. Ein Anblick, der allein schon reicht, sich mit Wolfsburg zu versöhnen. Und die Fußgängerpassage auf dem Weg zurück zum Bahnhof in gehobener Stimmung zu bestehen.

Bis 8. Dezember 2010, Alvar-Aalto-Kulturhaus, Wolfsburg

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