Arbeitskampf im öffentlichen Dienst: Die Wahl bestreiken

Tausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes wollen noch vor den Wahlen streiken. Im Wahlkampf sagt die Politik Unterstützung zu.

Ein Mann mit Warnweste und eine Frau mit einem Schild recken die Faust in die Höhe bei einer Demonstration

Demonstration von Beschäftigten der Krankenhäuser Charite und Vivantes im September 2022 Foto: Mike Schmidt/imago

BERLIN taz | Auf dem Redaktionsgebäude des Neuen Deutschlands ist ein Zitat von Karl Marx zu lesen: „Die soziale Revolution kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft“. Nun, um die soziale Revolution ging es nicht, als sich am Freitag etwa 300 Ar­bei­te­r:in­nen verschiedener öffentlicher Betriebe dort versammelten. Und doch spricht einiges dafür, dass Berlin – und bundesweit – ein kämpferisch geführter Arbeitskampf bevorsteht.

Der Raum war vollgepackt mit Beschäftigten, zum Teil in gelben Verdi-Westen, teils in den Kutten der Berliner Stadtreinigung. „Wir sind streikbereit!“, verkündeten Banner an den Wänden. Viel wurde gejohlt und gepfiffen, als Kol­le­g:in­nen die Spit­zen­po­li­ti­ke­r:in­nen der großen demokratischen Parteien Berlins mit Fragen löcherten. Mit Klaus Lederer (Linke), Raed Saleh (SPD), Silke Gebel (Grüne), Sebastian Czaja (FDP) und Kai Wegner (CDU) war das Podium hochkarätig besetzt.

Bundesweit wird derzeit der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) neu ausgehandelt. Nachdem eine erste Verhandlungsrunde am 24. Januar ergebnislos verlaufen war, hatte Verdi die Team- und Streikdelegierten der Betriebe zu einem ersten Warnstreik aufgerufen, um über den kommenden Arbeitskampf zu beraten. Das Ergebnis: Noch vor der Wahl am 12. Februar wird in Berlin groß gestreikt. Am 9. Februar werden Tausende Ar­bei­te­r:in­nen der öffentlichen Betriebe ihre Arbeit niederlegen – in einer Demo wollen sie vom Abgeordnetenhaus nach Kreuzberg ziehen.

Bundesweit betrifft die Tarifrunde etwa 2,5 Millionen Beschäftigte; über 340.000 haben sich bisher in einer Forderungspetition zum Streik bereit erklärt. Allein in Berlin haben bisher 13.000 Ar­bei­te­r:in­nen unterschrieben – davon über 5.500 bei den kommunalen Kliniken Charité und Vivantes, fast 3.500 bei der BSR und über 1.600 bei den Wasserbetrieben. Auch am Arbeitskampf beteiligt sind etwa die Beschäftigten des Studierendenwerks und des Jüdischen Krankenhauses im Wedding.

Gurken werden teurer, die Arbeitskraft auch

Lehrer:innen, Er­zie­he­r:in­nen und die Kommunalverwaltungen sind in Berlin dagegen – anders als etwa in Brandenburg –, nicht beteiligt. Ihre Gehälter sind im Berliner Landestarifvertrag geregelt, der aktuell nicht neu verhandelt wird. Auch Verbeamtete, Rich­te­r:in­nen und Sol­da­t:in­nen dürfen in vielen Fällen nicht streiken – auf ihre Gehälter soll das Tarifergebnis aber übertragen werden.

Verdi fordert 10,5 Prozent mehr Lohn, aber mindestens 500 Euro mehr Monatsgehalt für alle. Azubis sollen mindestens 200 Euro mehr erhalten. Außerdem soll die Tariflaufzeit nur ein Jahr betragen, um schon bald auf die womöglich weiter grassierende Inflation reagieren zu können. Die nämlich macht den Beschäftigten zu schaffen. „Wir fordern überhaupt nicht viel“, sagt ein Arbeiter der BSR, der sich als Carlos vorstellt. „Eine Gurke kostet im Supermarkt 15 bis 20 Prozent mehr, da ist doch klar, dass auch unsere Arbeit mehr kosten muss!“, ruft er unter tosendem Applaus der Menge.

Auszubildende von Charité und Vivantes beschwerten sich, ihnen würde jeder Streiktag als Fehltag gezählt – gibt es davon aber zu viele, stehe die Prüfungszulassung auf dem Spiel. Dann müsse ein Härtefallantrag gestellt werden, der stolze 60 Euro koste. „Aber keine Sorge: Wir streiken für euch mit, wenn ihr nicht könnt!“, versicherte Halis, Azubi der Wasserbetriebe, ebenfalls unter großem Applaus.

Mit einem Verhandlungsergebnis ist wohl frühstens Ende März zu rechnen. Schon jetzt ist der Arbeitskampf aber Wahlkampfthema – schließlich ist der öffentliche Dienst ein nicht zu vernachlässigender Wahlfaktor. Entsprechend zeigten sich am Freitag alle Po­li­ti­ke­r:in­nen bemüht, möglichst unterstützend zu wirken. Selbst Sebastian Czaja (FDP) und Kai Wegner (CDU), sonst eher keine Freunde der Arbeiter:innenbewegung, sprachen sich für höhere Gehälter aus.

„Zu kämpfen steht euch zu!“

Ob die aber 10,5 Prozent betragen sollten, ließen beide offen. Der Linken-Spitzenkandidat Lederer schleuderte ihnen entgegen: „Es ist ja schön und gut, wie hier die marktliberalen Parteien Unterstützung zusagen, aber sobald es um Gelder geht, treten sie auf die Bremse!“ Die Forderungen der Gewerkschaft seien „absolut angemessen“, fehlende Gelder müssten etwa durch Steuern auf Übergewinn, Vermögen und Erbschaften beschafft werden. Auch SPD-Fraktionschef Saleh traf den richtigen Ton. „Für 10,5 Prozent zu kämpfen steht euch zu“, rief er aus. Da ballte ein Mann neben dem Reporter die Faust und murmelte „Jawohl!“

Alle Po­li­ti­ke­r:in­nen sagten zu, sich für einen Inflationsausgleich für die Beschäftigten der Tochtergesellschaften von Charité und Vivantes einsetzen zu wollen. Einen solchen fordert Verdi mit der separat zum Arbeitskampf laufenden „Aktion Lohnrettung“. Zwar sind auch in den Töchterfirmen – einst mit dem Zweck der Tarifflucht gegründet – die Löhne inzwischen an den TVöD gekoppelt, erhöhen sich aber aufgrund einer besonderen Vertragsklausel erst mit einem Jahr Verzögerung.

Verdi fordert von der Landespolitik deshalb einen sofortigen Inflationsausgleich – und: dass der Landesmindestlohn von 13 Euro in den Töchtern eingehalten wird. Bisher würden in den Töchtern häufig aber die Zuschläge in das Gehalt mitgerechnet. Saleh ging auch dieses Thema mit deutlichen Worten an. „Der Mindestlohn bedeutet Mindestlohn plus Zulagen, er ist das Gehalt für eine Stunde Arbeit“, stellte er klar. CDU und FDP warf er vor, sich im Parlament wiederholt gegen die Erhöhungen der Mindestlöhne gestemmt zu haben.

Zudem will die Gewerkschaft, dass die Tochterunternehmen in die Mutterkonzerne zurückgeführt werden – und auch hierfür sagten alle Parteien Unterstützung zu. Saleh bezeichnete die Ausgliederung als „verdammt großen Fehler“, Lederer brauchte eine Gesellschafterweisung ins Spiel, um gegen die mangelnde Umsetzung des neuen Tarifvertrags vorzugehen. Als die Po­li­ti­ke­r:in­nen auf einem Schild aufschreiben sollten, bis wann die Tochterunternehmen zurückgeholt worden sind, gaben die Ver­tre­te­r:in­nen der Regierungsfraktionen geschlossen die Antwort „2026“. Das darf als Wahlversprechen gelten.

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