Arbeitsausbeutung in Hamburg: Zu wenig zum Fliehen
Er sollte 2.000 Euro im Monat verdienen, stattdessen bekam er fast nichts: Maksym R. wurde Opfer von Arbeitsausbeutung, die System hat.
„Die Anzeige habe ich im Internet gesehen“, erzählt der 40-jährige Ukrainer. In den sozialen Netzwerken, aber auch in Zeitungen habe eine Agentur damit geworben, Arbeitswilligen gut bezahlte Jobs in Deutschland zu vermitteln. Gegen eine Anmeldegebühr von 300 Euro versprachen die Arbeitsvermittler, ukrainische Staatsangehörige über Polen nach Deutschland zu bringen, wo sie 2.000 Euro im Monat verdienen sollten – legal, versteht sich. R. meldete sich an.
Über Viper, das osteuropäische Whatsapp, trat er mit der Agentur in Kontakt, über Western Union überwies er die Gebühr. In Polen arbeitete er einen Monat, aber von 600 versprochenen Euro, die er dort bekommen sollte, sah er nichts. Stattdessen wurde er vertröstet – in Deutschland würde er das Gehalt bekommen. Mit einem anderen Mann, der über die gleiche Agentur angeheuert hatte, machte er sich auf den Weg – sie fuhren Zug, trampten, fuhren versteckt in einem LKW.
In Hamburg nahm eine Frau sie in Empfang und brachte sie in eine Unterkunft in einem Keller, wo sie zu acht in einem 16-Quadratmeter-Zimmer schliefen. Am nächsten Tag wurden die Männer auf Baustellen und Lagerhallen verteilt. Dort schufteten sie acht bis zehn Stunden täglich.
Dosensuppe oder Kartoffeln
Nach ein paar Tagen bekam R. Geld, aber nur 240 Euro, noch als Nachzahlung aus dem Monat Arbeit in Polen. Davon abgesehen brauchten die Männer ihre eigenen finanziellen Reserven auf. Täglich sei „der Direktor“ vorbeigekommen, sagt R. – so nennt er den Mann, der die Ukrainer überredete weiterzumachen. Manchmal habe er ihnen 20 Euro gegeben – für alle zehn Männer. Manchmal auch fünf Euro pro Person, damit sie sich eine Fahrkarte leisten konnten, um zur Arbeit zu fahren.
Morgens tranken sie Tee und aßen Brot, abends kochten sie Dosensuppen oder Kartoffeln. „Ich habe den Direktor jeden Tag nach unserem Lohn gefragt“, sagt R. „Er hat mir oft Gewalt angedroht. Einmal sagte er, er würde mir den Kiefer brechen.“
„Der Direktor“ heißt Oleg P. und bietet im Internet Auftragsarbeiten für Trockenbau, Sanierungen und Maurerei an. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen „Arbeitsausbeutung“, so heißt der Straftatbestand. Aber das Verfahren läuft schleppend – gerade hat zum dritten Mal der zuständige Staatsanwalt gewechselt.
Die Mitarbeiterin der Hamburger Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel (Koofra), Katrin Kirstein, sieht darin ein strukturelles Problem. „Während es für sexuelle Ausbeutung eine spezialisierte Abteilung der Staatsanwaltschaften gibt, fehlt das für Fälle, in denen es um schwere Arbeitsausbeutung oder Zwangsarbeit geht“, sagt sie. Der Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft, Carsten Rinio, bestätigt das indirekt: Der Fall von Maksym R. laufe unter „Wirtschaftskriminalität“ – ein weites Feld. Handelte es sich um Zwangsprostitution, wäre die Abteilung für organisierte Kriminalität und Rotlichtdelikte zuständig. Der Lagebericht des BKA listet im vergangenen Jahr bundesweit nur elf Verfahren wegen Arbeitsausbeutung.
Maksym R. war verzweifelt, er suchte nach Auswegen. In einem Supermarkt lernte er einen Polen kennen, der ihn mit zu seinem Arbeitgeber nahm, einem Logistik-Dienstleister. Dessen Inhaber Holger Landgrebe hörte sich R.s Geschichte an und rief die Polizei. „Dass die Männer ausgebeutet wurden, war ziemlich offensichtlich“, sagt er.
Geschäftsmodell: insolvente GmbH
Landgrebe weiß, dass so etwas in seiner Branche häufig vorkommt. Er erklärt, wie es laufen kann: „Jemand meldet eine GmbH auf einen anderen Namen an, vermittelt die Arbeitskräfte und bekommt dafür zehn, fünfzehn Euro pro Stunde vom Kunden. Er bezahlt den Arbeitern aber nur vier Euro und zieht ihnen davon noch Kosten für die Unterkunft und die Vermittlung ab.“ Die GmbH zahlt dann auch keine Steuern und keine Sozialabgaben, nach vier oder fünf Monaten meldet der Inhaber Insolvenz an. Und macht die nächste GmbH auf. „Es ist immer das Gleiche“, sagt Landgrebe.
R. ist nun Zeuge in dem Verfahren gegen Oleg P. Solange er Teil der Ermittlungen ist, darf er sich in Deutschland aufhalten und arbeiten. Die ersten Nächte schliefen er und die anderen Ukrainer in einer Übernachtungsstätte für Obdachlose, mittlerweile wohnen sie in Containern und bekommen Sozialleistungen. Immer wieder, erzählt R., lerne er in Hamburg Leute kennen, Osteuropäer, denen das Gleiche passiert ist.
Drei Mal war er in der Zwischenzeit schon zu Hause, seine Frau und seine vier Kinder besuchen. Dort hat er gesehen, dass die Agentur von Oleg P. immer noch aktiv ist. Bei der örtlichen Polizei erstattete er Anzeige, „aber mit der Polizei ist es so eine Sache“, sagt R. Zwei Männer hätten ihn auf der Straße abgefangen und ihm gedroht. Später hätten sie seine Kinder auf dem Schulweg verfolgt. „Ich habe Angst, dass es tödlich endet“, sagt R. Trotzdem sei er immer wieder zur ukrainischen Polizei gegangen. Die Beamt*innen hätten meistens nur spöttisch gelächelt.
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!