Arbeitsagentur-Vorstand über Armut: "Mit dem 400-Euro-Job eingerichtet"
Heinrich Alt von der Bundesagentur für Arbeit warnt vor Minijobs als Lebensstil, kritisiert die Statistiken und befürchtet dass eine neue Krise nicht gut verlaufen könnte.
taz: Herr Alt, die Zahl der Arbeitslosen ist im Winter nur knapp auf über 3 Millionen gestiegen. Aber das Beschäftigungswunder geht in großen Teilen auf Niedriglöhne, Leiharbeit und Minijobs zurück. Läuft da etwas schief?
Heinrich Alt: Der Arbeitsmarkt sieht zurzeit nicht schlecht aus. Wenn die wirtschaftliche Entwicklung bei 0,5 oder 1 Prozent Wachstum bleibt, wie vorausgesagt, bleibt er auch 2012 stabil. Natürlich sollen die Menschen existenzsichernde Einkommen haben. Aber man muss auch zu schwierigeren Bedingungen in den Arbeitsmarkt einsteigen.
Aber mit dem Einstieg ist es nicht getan. Nur 7 bis 10 Prozent der Leiharbeiter finden beispielsweise bessere, also abgesicherte Jobs.
Das stimmt, aber die Lage ist in der letzten Konjunktur etwas besser geworden. Das zentrale Kriterium bleibt aber die berufliche Aus- und Weiterbildung. Nur damit verbessert man seine Chancen auf gut bezahlte Arbeit. Einige Menschen haben sich aber auch mit einem 400-Euro-Job eingerichtet. Zum Einstieg ist das okay, aber daraus sollte kein Lebensstil werden.
Müsste die Politik die 400-Euro-Jobs verbieten?
Der 61-Jährige hat Politik und Germanistik studiert. Seit 1977 arbeitet er in der Arbeitsmarktverwaltung, seit 2002 ist er im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit.
Altersarmut ist mit 400-Euro-Jobs vorprogrammiert, das sagen wir auch immer. Ich würde es begrüßen, wenn Minijobs nur für Rentner, Studenten und Schüler da wären, die etwas hinzuverdienen wollen, oder auch für Arbeitnehmer, die ihr Gehalt aufbessern. Aber das muss die Politik entscheiden.
In der Gastronomie hat jeder zweite einen Minijob. Da ist die Verhandlungsmacht, solche Jobs abzulehnen, klein.
Bei uns wird man nicht automatisch sanktioniert, wenn man eine Vollzeitstelle sucht und deswegen einen 400-Euro-Job ablehnt. Obwohl wir immer individuell klären müssen, ob solch ein Job als Einstieg sinnvoll wäre. Zumindest wird damit die Hilfebedürftigkeit verringert.
Immer mehr Menschen sind vorübergehend arbeitslos. Muss es einfacher werden, seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I geltend zu machen?
Die Politik muss entscheiden, ob man die Zeit der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung über drei statt nur über zwei Jahre betrachten sollte, wenn es um Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung geht. Der Arbeitsmarkt ist heute stärkeren Schwankungen unterworfen, deswegen kann man diskutieren, ob es gerecht ist, wenn heute von 100 Beitragszahlern nur 75 Prozent die Versicherungsleistung bekommen.
Die Bundesagentur für Arbeit hat 2011 mit einem kleinen Plus abgeschlossen, auch für die nächsten Jahre erwartet sie schwarze Zahlen. Die Lage hat sich entspannt, oder?
Die Konjunktur war viel besser als vorausgesehen. Das Plus Ende 2011 ist gut, aber es wäre besser gewesen, wenn wir 2011 auch Vorsorge für die nächste Konjunkturdelle oder den nächsten Einbruch hätten treffen können. Die letzte Krise ist nicht zuletzt deswegen so gut verlaufen, weil wir 18 Milliarden Euro Rücklagen hatten. Kommt es wieder zu einer Krise, fehlen uns diese.
Es gibt immer wieder Kritik an Ihrer Statistik. Arbeitslose ab 58 Jahren, die ein Jahr lang keinen Job angeboten bekommen haben, gelten nicht als arbeitslos. Was müssen Sie ändern?
Die Politik legt fest, wer als Arbeitsloser gezählt wird, nicht wir. Wir hatten uns gegen die 58er Regelung ausgesprochen. Von uns erfahren Sie aber immer, wie groß diese Gruppe ist, derzeit sind es 102.000 Personen. Man sollte nicht der Bundesagentur für Arbeit deswegen Vorwürfe machen.
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