Aquarium als Geldquelle: Mahnmal vermasselter Stadtpolitik

Braucht Berlin noch ein Aquarium? Argumente, Proteste und Klagen konnten die Pläne für Coral World an der Rummelsburger Bucht nicht verhindern.

Protest gegen die Vertreibung aus der Rummelsburger Bucht, 2021 Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Letztendlich war es die Angst vor einer Brache, die den Bau des umstrittenen Aquariums ermöglicht hatte. Die Planungen für den letzten Bauabschnitt an der Rummelsburger Bucht seien schon so weit vorangeschritten, dass ein Stopp des Bezirks jahrelangen Stillstand bedeuten würde, begründeten die Be­für­wor­te­r:in­nen aus der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg ihre Entscheidung, dem Bebauungsplan zuzustimmen. Das war 2019. Um den Stillstand zu verhindern, mussten seitdem Wagenplätze, ein Club und ein Obdachlosencamp weichen, doch vom Aquarium ist auch mehr als vier Jahre später nichts zu sehen. Stattdessen liegt das Grundstück weiterhin brach. Sauber planiert zwar, ohne Obdachlose, die darauf Zuflucht suchen, aber dennoch eine Brache.

Doch Coral World oder Ocean Berlin, wie das Aquarium nach einem „Rebranding“ jetzt heißt, kommt. „Die Eröffnung des Aquariums ist für Anfang 2026 geplant“, teilt eine Sprecherin des Mutterkonzerns Coral World der taz mit. Einen Bauantrag stellte das Unternehmen bereits 2021 wenige Tage vor Ablauf der Frist. Derzeit sei man mit dem Bodenaushub beschäftigt, die Betonarbeiten würden im Januar starten, so die Sprecherin.

Wie der „Ocean“ am Ende aussehen soll, ist immer noch nicht bekannt. Planzeichnungen und visualisierte Außenansichten seien bislang noch im Entwicklungsstadium, heißt es, das Konzept verändere sich im Moment fast täglich. Fest steht bereits, dass mehrere Großbecken entstehen, in denen bunte Korallen, Haie und andere Meerestiere angesiedelt werden sollen. „Marine Welten, wie man sie sonst nur im Great Barrier Reef, im Roten Meer und in den Lagunen der Karibik antreffen kann“, wirbt die Sprecherin des Unternehmens. Ebenso plant Coral World ein „trockenes“ Meeresmuseum, das die Aquarien ergänzen soll.

Zum Schutz der Meere?

Ein rein profitorientiertes Eventtourismusangebot also, wie es das Unternehmen auch auf Mallorca, Hawaii und in Israel betreibt. Trotzdem wird Coral World nicht müde zu wiederholen, dass es dem Unternehmen nur um den Schutz der Meere geht. „Wir müssen Menschen in einen unmittelbaren, persönlichen Kontakt mit dem Ozean bringen, um sie emo­tio­nal zu erreichen“, rechtfertigt Projektleiter Erez ben-Nun das Geschäftsmodell in einem im August erschienenen PR-Beitrag.

Für Jennifer Witte, die für die Tierschutzpartei in der Bezirksverordnetenversammlung sitzt, sind die Aussagen des Unternehmens reines Greenwashing. Statt die Weltmeere zu schützen, sei das „Gegenteil der Fall“, kritisiert Witte. „Ocean Berlin trägt maßgeblich zur Plünderung der Meere bei, indem es Korallen entfernt“, sagt sie. Auch viele Tiere könnten nicht gezüchtet werden, sondern würden aus freier Wildbahn entnommen, erklärt die Kommunalpolitikerin. In Gefangenschaft bekämen sie häufig Depressionen und würden krank.

Auf taz-Nachfrage beteuert Coral World, Fische und Korallen überwiegend aus Zuchtprogrammen beziehen zu wollen. Dass trotzdem Lebewesen aus der Wildnis entnommen werden müssen, bestritt das Unternehmen jedoch nicht.

Dazu kommt der enorme Energieverbrauch für den Bau und Betrieb. Tausende Liter Salzwasser müssen produziert und beheizt werden, hinzu kommen Filter, Pumpen und Beleuchtung. „Ocean verschwendet so viel Energie wie Tausende Privathaushalte zusammen“, mutmaßt Witte, in Zeiten der Klimakrise sei das eine „Riesenumweltkatastrophe“.

Jetzt auch noch ein Hotel

Wenig zu gemeinwohl­orien­tierten Image passt auch das in das Gebäude integrierte Hotel mit 169 Doppelzimmern. Das Bekanntwerden der Hotelpläne im März ließ alte Forderungen nach Rückabwicklung der Grundstücksverkäufe an Coral World wieder aufleben. Seitdem behauptet das Unternehmen immer wieder, es sei vom Bezirk förmlich gezwungen worden, zusätzlich zum Aquarium ein Hotel zu errichten. Das „Hotel wird allein infolge der Auflagen des Bebauungsplans entstehen“, rechtfertigt die Sprecherin die Entscheidung. Doch der B-Plan sieht zwar eine Mindesthöhe von sieben Stockwerken vor; eine Verpflichtung, ein Hotel zu errichten, ist allerdings nirgendwo festgeschrieben.

„Die Bauherrin wurde nicht veranlasst, ein Hotel zu errichten. Die Entscheidung wurde vom Investor eigenständig ohne Abstimmung mit dem Senat getroffen“, widerspricht der Senat in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von ­Hendrikje Klein aus dem November letzten Jahres. Die Linke-Abgeordnete, die ihren Wahlkreis in Lichtenberg hat, gehört zu den engagiertesten Geg­ne­r:in­nen der Bebauung an der Rummelsburger Bucht.

Die Kombination aus Hotel und Aquarium geriet noch einmal stärker in Kritik, als im Dezember 2022 das größte zylin­dri­sche Aquarium der Welt in der Lobby des Sealife-Hotels explodierte. Hunderte Fische verendeten, zum Glück wurden nur wenige Menschen verletzt. Warum es zu dem Unglück kam, konnte bis heute nicht restlos geklärt werden.

In einem im Oktober veröffentlichten Gutachten stellten Ex­per­t:in­nen zwar drei Hypothesen auf, konnten aber für keine der Erklärungen eindeutige Belege finden. Konsequenzen für das geplante Ocean gibt es allerdings keine. In der Antwort auf die parlamentarische Anfrage gibt die Senatsverwaltung an, das Gutachten nicht einmal gelesen zu haben.

Resignation in der Bucht

Coral World versichert der taz, dass Ocean definitiv zu hundert Prozent sicher sei, die Becken seien „in keinster Weise vergleichbar“ mit dem Sealife-Acrylglaszylinder. „Unsere Becken sind nicht aus Acryl, sondern eine massive Konstruktion auf Betonbasis“, heißt es, und man habe seit den 1970er Jahren eine schadensfreie Sicherheitsbilanz.

Hoffnung, dass sich das Aquarium noch irgendwie verhindern lässt, hat mittlerweile niemand mehr. „Was die Rummelsburger Bucht betrifft, haben sich Trauer und Resignation breitgemacht“, sagt Hendrikje Klein. Doch für die Eröffnung 2026 werde Coral World „mit Protest rechnen müssen“.

Während private In­ves­to­r:in­nen die Ufer der Rummelsburger Bucht nach der Wende mit schicken Townhouses und Eigentumswohnungen zugebaut haben, steckten die letzten, direkt am Ostkreuz gelegenen Filetgrundstücke in einem jahrelangen Planungsprozess fest. Die Brachen boten dringend benötigten Freiraum für jene, die zunehmend von anderen Orten in der Stadt verdrängt wurden.

Zwei Wagenplätze, ein Technoclub und ein Obdachlosencamp mit zeitweise mehr als hundert Be­woh­ne­r:in­nen fanden an der Rummelsburger Bucht Zuflucht. Als 2017 der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, was der Bezirk konkret auf den Grundstücke plante, löste die Ankündigung nicht nur Widerstand in der alternativen Szene aus. Statt dringend benötigten bezahlbaren Wohnraums, Schulen oder Kitas sollten dort vor allem hochpreisige Eigentumswohnungen privater In­ves­to­r:in­nen entstehen. Auch für viele An­woh­ne­r:in­nen stellte das Aquarium den Gipfel einer völlig verfehlten Planung dar.

Wertvolle Grundstücke verhökert

Besonders schmerzhaft war, dass es sich bei den mehr als 14 Hektar Bauland um landeseigene Grundstücke handelte, die der rot-schwarze Senat 2016 quasi als letzte Amtshandlung an private In­ves­to­r:in­nen verscherbelte. Michael Grunst, damals Linke-Bürgermeister Lichtenbergs, sieht in dem Verkauf den Hauptgrund, warum der Bezirk dem umstrittenen Bebauungsplan zustimmen musste. „Das Entscheidende war die Eigentumsfrage“, sagt Grunst, „die Lehre muss sein, dass das Land nie wieder Grundstücke an Dritte verkauft.“

Mehrere Großdemos, Petitionen mit Tausenden Unterschriften und Besetzungsaktionen halfen nicht: Im April 2019 stimmte die Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg trotz aller Kritik für den Bebauungsplan und machte somit auch den Weg frei für Coral World. Auch zwei Klagen gegen den Bebauungsplan scheiterten vor Gericht.

Entgegen der Ankündigung, keinen Cent Wirtschaftsförderung in Anspruch zu nehmen, beantragte Coral World dann auch noch Fördermittel in Höhe von 7,3 Millionen Euro. Die Investitionsbank Berlin lehnte den Antrag ab, wogegen Coral World klagte. Im September scheiterte das Unternehmen dann endgültig vor Gericht.

„Coral World hat uns hinters Licht geführt wie alle anderen ­Investoren auch“, gibt Ex-Bürgermeister Michael Grunst rück­blickend zu. Coral World versprach ein Bildungsangebot, die anderen In­ves­tor:in­nen mietpreisgebundene Wohnungen. Entstanden sind bislang fast ausschließlich Eigentumswohnungen – so wie überall sonst um das Gewässer herum. „Die Rummelsburger Bucht ist ein Mahnmal dafür, wie Stadtentwicklung in die Grütze gefahren werden kann“, sagt Grunst. Heute ist die Bucht ein Wohlfühlort für gut verdienende Haus­be­sit­ze­r:in­nen. „Wir haben es verpasst, sie zu einem Ort für alle Berlinerinnen und Berliner zu entwickeln“, räumt Grunst ein.

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