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Anwohner gegen DruckraumDen Druck rausnehmen

In Kreuzberg sträuben sich Anwohner gegen die Eröffnung eines Druckraums für Junkies. In Moabit war das vor einigen Jahren ähnlich. Inzwischen hat sich die Lage beruhigt.

Abdrücken in Ruhe, aber möglichst weit weg von Anwohnern Bild: ap

Katja Schlesinger spricht für viele Eltern, wenn sie sagt: "Ein Drogenkonsumraum in der Nähe von zwei Grundschulen, das ist doch Wahnsinn!" Trotzdem ist sie ziemlich allein mit ihrer Meinung an diesem Abend auf der Diskussionsveranstaltung zum geplanten Suchthilfezentrum in Kreuzberg. Knapp 50 Menschen haben den Weg in die Emmaus-Ölberg-Kirche gefunden, darunter gerade mal eine Handvoll Kritiker des Projekts. Schlesinger, die als Vertreterin einer Elterninitiative gegen den geplanten Standort Reichenberger Straße auf dem Podium sitzt, und die wenigen AnwohnerInnen, die ihre Sorgen öffentlich diskutieren, haben einen schweren Stand. Nach und nach werden sie - verständlicherweise - immer emotionaler: "Das ist total parteiisch hier!", empört sich eine Mutter aus dem Publikum.

Das Gesundheitszentrum für Suchtkranke soll der Ersatz werden für einen Druckraum in der Dresdner Straße, der geschlossen werden musste - auf Druck von Anwohnerbeschwerden. Nach langer Suche wurde ein Ersatzraum gefunden. In der Reichenberger Straße sollen nun ein Drogenkonsumraum, sozialarbeiterische Beratung, ärztlicher Beistand, der zur Not auch ohne Krankenkassenkarte behandelt, und Beschäftigungs- und Qualifizierungsangebote entstehen. Doch auch hier rebellierten viele Anwohner. Elternvertreterin Schlesinger sieht sich, ihre Kinder und ihren Kiez existenziellen Bedrohungen ausgesetzt. Ihre größten Sorgen sind Beschaffungskriminalität, aggressive Mehrfachabhängige und vor allem die Tatsache, dass Kinder viel zu schnell zugreifen würden, wenn Drogenabhängige ihnen 50 Euro für einen Kurierdienst anbieten würden. Die klassische Spritze auf dem Spielplatz sorgt sie hingegen kaum: "Da muss ich meinen Kindern halt erklären, dass sie nichts Spitzes anfassen dürfen", sagt die dreifache Mutter.

Aufbauen wird das Suchthilfezentrum in Kreuzberg der soziale Träger Fixpunkt, der auch die Verantwortung für den medizinischen Bereich des derzeit einzigen Berliner Drogenkonsumraums in Moabit trägt. Dort gab es ebenfalls Sorgen und Widerstände aus der Nachbarschaft, im Jahr 2004, als die "Birkenstube" eröffnet wurde. "Das ging bis zu Beleidigungen und Morddrohungen gegenüber den Mitarbeitern", berichtet Leiter Jan Czyborra. Und der Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD) erinnert sich: "Die Bürger waren verunsichert, weil auch die Birkenstube in der Nähe von Kindertagesstätten und auf Schulwegen liegt."

Doch Czyborra kennt ein ganz gutes Argument für einen Druckraum, wo auch immer der steht: "Wir retten hier Menschen aus lebensbedrohlichen Zuständen." Und er geht auch schon mal selbst Spritzen einsammeln, wenn Anwohner ihn darum bitten.

Auf den Betrachter wirkt die Birkenstube erst einmal nicht so, als würde hier mit dem Tod gespielt. Wie in einer Cafeteria sitzen "die Klienten", so Czyborra, an Tischen, trinken Kaffee oder füllen sich kostengünstig den Bauch. Wäsche waschen kann man hier und sich kostenlose Kleidung aussuchen. Es gibt eine Drogenberatung und natürlich werden frische Spritzen gegen alte getauscht.

Existenzieller wird es einen Raum weiter. "Um hier reinzukommen, muss man schwer abhängig sein, einen Nutzungsvertrag abschließen, sich ausweisen und seine Drogen vorzeigen", erklärt Czyborra. Der eigentliche Druckraum wirkt steril, wie beim Arzt. Es gibt Fächer voller Spritzbesteck, einige Stühle und eine Sauerstoffflasche. Eine Drogenhöhle stellt man sich anders vor. "Hier hält sich auch keiner lange auf, viele spritzen sich die Drogen sogar im Stehen", sagt Czyborra. So könne man die tief im Gewebe der Leisten liegenden Venen anstechen. Bisweilen geht es hier blutig zu. Beim Fixen helfen dürfen die Mitarbeiter der Birkenstube nicht, auch nicht die Junkies untereinander.

Ein Rettungssanitäter sitzt stets dabei und beobachtet die spritzenden Konsumenten und auch die Rauchenden nebenan. Durch ein Fenster ist er von den Dämpfen von Heroin, Kokain und seltener Crystal Meth abgeschirmt, bereit, im Rauchraum oder bei den intravenös Injizierenden einzugreifen, falls es zum Kollaps kommt. In der Birkenstube hören regelmäßig Menschen auf zu atmen. Aber hier gibt es Ausrüstung und Personal, um die Drogenkonsumenten rasch zu betreuen. Die Sauerstoffflasche steht bereit, um Überdosierte per Beatmung über die lebensgefährliche Phase zu bringen, zur Not werden sie mit Herzdruckmassage am Leben erhalten, bis der Rettungswagen kommt. Zehn Menschen wurden 2009 aus lebensbedrohlichen Zuständen gerettet. Gestorben ist hier noch niemand.

Ganz problemlos ist das Verhältnis zur Nachbarschaft auch heute, Jahre nach der Eröffnung des Druckraums, nicht. Jürgen Sudhoff hat von seinem Laden für Handwerkerbedarf aus eine gute Sicht auf die Kreuzung, an der die Birkenstube liegt. "Natürlich gibt es hier Probleme", sagt er. Er habe schon den Rettungswagen rufen müssen, weil jemand ohnmächtig auf der Straße lag. "Aber den Drogenhandel bekommen die Mitarbeiter von dem Laden ganz gut eingedämmt", so Sudhoff.

Özkan Karalan war einer der lauteren Gegner des Drogenkonsumraums. Er besitzt ein Reifengeschäft ein paar Häuser weiter. Als die Birkenstube eröffnet wurde, sammelten er und seine Frau Unterschriften dagegen. Nun ist sich Karalan seiner Position nicht mehr wirklich sicher. Er sagt: "Es gibt immer noch Probleme mit Fixern in den Hauseingängen, aber ob das mehr geworden sind …" Er überlegt und beschließt: "Das kann ich nicht sagen." Nach Einschätzung des zuständigen Polizeiabschnitts 33 ist in der Umgebung der Birkenstube seit ihrer Eröffnung kein Anstieg von Straftaten zu erkennen.

Jürgen Sudhoff empfiehlt, entspannt zu bleiben: "Ob jetzt Kneipe oder Drogenkonsumraum - ist doch egal, da hab ich schon Schlimmeres erlebt", stellt er nüchtern fest.

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