piwik no script img

Anwalt und Blogger Udo VetterDer Gesetzeshüter

Udo Vetter ist Anwalt und gehörte zu den ersten Bloggern Deutschlands. In der Piratenpartei ist er nicht mehr – zur Freude einiger Mitglieder.

„Was nicht verboten ist, ist erlaubt“: Udo Vetter in einer Talkshow. Bild: imago / müller-stauffenberg

DÜSSELDORF taz | Es gibt Menschen, die wissen, was der Austritt von Udo Vetter für die Piratenpartei bedeutet. „Bundesweit bekannt“ sei der Anwalt aus Düsseldorf, klagten viele nach dem Abgang des 49-Jährigen. Denn Vetter ist eine Internet Personality, die der Partei ein Gesicht gegeben hat: Sein //www.lawblog.de/:„Law Blog“ ist 2011 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet worden.

Ausgetreten ist Vetter wegen eines parteiintern „Bombergate“ genannten Auftritts von zwei maskierten Piratinnen in Dresden: Im Stil der Feministen-Gruppe Femen hatten die beiden am 13. Februar dem Oberbefehlshaber der britischen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg, Arthur Harris, für die Zerstörung der Stadt gedankt. „Thanks Bomber Harris“ war auf nacktem Oberkörper zu lesen.

Für Vetter ist die Aktion, zu der sich auch die auf Platz fünf der Europawahlliste kandidierende Berlinerin Anne Helm bekannte, Zeichen eines parteiinternen Machtkampfs: Eine der Antifa nahestehende Parteilinke versuche, „die Partei zu okkupieren“, betreibe „brutales Mobbing“, stehe für „Meinungsstalinismus“, befand der Jurist – und ging.

Dabei war der Mann mit der Vorliebe für kleinkarierte Hemden einer der besten Werbeträger der Piraten: Zum Skandal rund um den nach Kinderporno-Vorwürfen abgetauchten SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy saß der Strafverteidiger bei „Günther Jauch“ und „stern TV“. Interviews liefen beim RBB und beim HR, und den Freispruch von Exbundespräsident Christian Wulff kommentierte er für die Deutsche Welle.

taz.am wochenende

Dank der „heute-show“ interessieren sich junge Menschen für Politik, sagen die Macher. Im Gegenteil, meinen Kritiker: Es gehe nicht um Aufklärung, sondern um Verachtung. Ob TV-Humor politisch sein kann, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. März 2014 . Außerdem: Was passiert, wenn sich die Erde erwärmt? Der neue UN-Klimabericht exklusiv in der taz. Und: Warum bekriegt sich die Opposition gerade in der Krim-Krise? Gregor Gysi streitet mit Katrin Göring-Eckardt über den Umgang mit Russland, der Ukraine und der Großen Koalition. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Kompromisslose Haltung

Grund für die Masse an Medienanfragen ist Vetters kompromisslose Haltung gerade in der Affäre rund um Edathy. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete sei Opfer einer „Hexenjagd-Mentalität, die jedes Augenmaß verliert“. Nach aktuellem Stand habe sich Edathy doch „ganz bewusst dafür entschieden, legales Material abzurufen“. Und was „nicht verboten ist, ist erlaubt – so einfach ist das“, argumentiert der Anwalt in seiner Kanzlei im Düsseldorfer Stadtteil Derendorf: „Als Strafverteidiger weigere ich mich, aus legalem Verhalten irgendwelche Schlüsse zu ziehen.“ Zumindest im juristischen Sinn habe Edathy beim kanadischen Versandhändler Azov eben keine Kinderpornografie bestellt, meint der Expirat.

Vetter glaubt, das beurteilen zu können: Journalisten und Politiker machten sich bereits strafbar, wenn sie nur den Begriff Kinderporno in eine Suchmaschine eingeben, doziert der Jurist.

Er selbst kenne Azov-Filme dagegen aus eigener Anschauung aus seinen Strafverfahren. „Sehr geschickt“ unterschreite das die juristische Definition von Pornografie: „Kindesmissbrauch bedeutet sexuellen Kontakt oder Selbstbefriedigung darzustellen oder Kinder dazu zu bringen, sich Pornografie anzuschauen, sich gegenseitig zu streicheln.“

„Dieses ganze Gedöns“

Im Gegensatz dazu biete Azov Bilder, „die man auch am FKK-Strand machen kann“. Der Strafverteidiger Vetter kann jetzt gar nicht anders, als zuallererst in juristischen Kategorien zu denken: Azov biete „straflose Posing-Videos“, und die seien eben „legal“, Punkt.

Dass Edathy „ohne jedes Gerichtsurteil“ trotzdem den „plötzlichen sozialen Tod“ sterben musste, regt Vetter so auf, dass ihm Röte ins Gesicht steigt. Natürlich weiß er, dass Edathy von Medien und Öffentlichkeit eben nicht formaljuristisch, sondern moralisch bewertet wird. Er selbst aber kann nicht anders, als juristisch zu argumentieren. Eine Abwertung, gar Verurteilung des Sozialdemokraten will ihm nicht über die Lippen.

Erst nach mehrfacher Nachfrage räumt er ein, ganz persönlich Edathys Bestellungen auch „befremdlich“ und „nicht sympathisch“ zu finden. Doch dann rutscht Vetter sofort wieder in seine Anwaltsrolle: „Dieses ganze Gedöns, die Vorwürfe, Edathys Verhalten sei moralisch verwerflich, interessiert mich nicht.“

Schlecht bezahlter Journalismus

Vielleicht ist es genau dieser Einblick in die Gedankenwelt eines passionierten Juristen, der jeden Tag „etwa 50.000“ Menschen auf seinen „Law Blog“ zieht. Genaue Zahlen hat Vetter nicht parat, ein „Quotenjunkie“ sei er nicht. Auch gebe es „keine Untersuchungen“, wie sich seine Leserschaft zusammensetzt, erzählt er. „Nicht doof“ seien seine Leser, jeder vierte sei ein Kollege. Wenn ihm vorgerechnet wird, das er damit jeden Tag 12.500 Juristen erreicht, erschrickt er fast, wirkt ehrlich überrascht – und relativiert seinen Erfolg sofort: „Es gibt in Deutschland über 100.000 Anwälte.“

Der Erfolg des „Law Blogs“ war natürlich nicht planbar. Noch heute verzichtet die Seite auf jedes Foto. Stattdessen präsentiert Vetter Texte, Texte, Texte – zumindest die aktenfressenden Juristen unter seinen Lesern scheint das nicht zu stören. 2003 habe er mit dem Start des Blogs eine alte Liebe wiederbeleben wollen – zum Schreiben. „Während des Studiums habe ich immer gedacht, dass ich einmal Journalist werde“, erzählt er. Für die Rheinische Post und die WAZ hat er damals genauso gearbeitet. „Das war schon damals schlecht bezahlt, da musste man schnell schreiben können“, sagt Vetter: „Heute profitiere ich davon.“

Der Anwalt füllt das Blog immer dann, wenn er Zeit findet – in Hotels, auf Gerichtsfluren, im Auto, auf Bahnhöfen. Umso mehr nervt es ihn, wenn seine Leser „Flüchtigkeitsfehler, etwa bei der Rechtschreibung“ bemängeln: Schließlich ist Vetter ständig unterwegs und füllt das Blog ehrenamtlich. Egal ist ihm seine Fangemeinde aber nicht: Natürlich verspüre er „Druck“, täglich zu veröffentlichen, zu aktuellen Themen wie Edathy, Wulff oder der Steuerhinterziehung von Hoeneß Stellung zu beziehen. Vetter hat eine Mission: Er will den speziellen Blick des Juristen erklären, in die Öffentlichkeit tragen.

Tipps für den Polizeibesuch

Richtig gepusht wurde das „Law Blog“ durch einen Auftritt vor dem Chaos Computer Club 2006. Über „Strategien für dem Umgang mit Polizei und Staatsanwaltschaft“ referierte der im fränkischen, nicht einmal 4.000 Einwohner zählenden Steinbach am Wald geborene Anwalt süffisant – und gab Tipps, was zu tun ist, wenn Beamte plötzlich die Wohnung durchwühlen. Weiche Drogen, die er nur „krümelartige Substanzen“ nannte, sollten noch schnell über das Klo entsorgt werden. Und manch ein Polizist sei so wenig technikaffin, dass er gar nicht merke, wenn statt einer Sicherungskopie der Computerdateien mal eben die Festplatte verschlüsselt werde.

Die ernst gemeinten Inhalte seines Vortrages mit dem Titel „Sie haben das Recht zu schweigen“ wiederholt Vetter dagegen noch heute: dass Ermittler wie im Fall Edathy Durchsuchungen im Haus, am Arbeitsplatz viel zu oft allein aufgrund vager „kriminalistischer Erfahrung“ beantragen. Dass überlastete Richter diese Durchsuchungen viel zu oft durchwinken – ohne Rücksicht auf die „existenzbedrohenden Folgen“ für die Verdächtigten. Kurz: dass die grundgesetzlich garantierte Freiheit viel zu oft von einer „Freiheitssimulation“ ersetzt werde.

Überhaupt, die Freiheit: Sie scheint Vetters zentrale Motivation zu sein. Nein, er sei finanziell nicht abhängig von seinem „Law Blog“. Zwar arbeite er mit dem Versicherungskonzern Arag zusammen, schreibe auch auf dessen Website. Der „Law Blog“ sei dagegen „noch“ werbefrei, und die Kanzlei laufe gut: Er könne Mandate ablehnen – was ihn nicht daran hindert, im Koblenzer Prozess gegen das rechtsextremistische „Aktionsbüro Mittelrhein“ den Düsseldorfer Neonazi Sven Skoda zu verteidigen.

Sozialliberal statt linksradikal

Jedem Angeklagten stehe eine kompetente Strafverteidigung zu, sagt er schnell. Dann wird Vetter hart: „Strafverteidiger sind Vorzeige-Prostituierte: Wir verkaufen unsere Seele an den, der uns beauftragt, und werden nach Stunden bezahlt.“

Immerhin: Das Mandat für die ebenfalls rechtsextreme Kameradschaft „Besseres Hannover“ sei „ein Fehler“ gewesen – schließlich ging es dabei nicht um Strafverteidigung, sondern um ein Vereinsverbot. Ein Neonazi-Anwalt sei er trotzdem nicht: „Ich habe auch schon Linksextreme vertreten“, sagt er – nur sei das „viel weniger beachtet“ worden.

Mit Linksextremen in einer Partei sein will Vetter aber nicht. Viele charakterisieren ihn als „sozial-liberal“. Dass der zum linken Parteiflügel zählende Berliner Pirat Oliver Höfinghoff „die Demokratie als ’Brückentechnologie‘ bezeichnet hat“, kann er nicht nachvollziehen. Offenbar fürchtet Vetter, Piraten wie Höfinghoff strebten eine Art Diktatur von links an.

Dass ihm Martin Delius, der wie Höfinghoff Abgeordneter der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus ist, zum Abschied per Twitter hinterherschimpfte, ein „Nazianwalt“ habe in einer demokratischen Partei sowieso nichts zu suchen, wird Vetter nicht treffen: Der Jurist, dem die Freiheit des Grundgesetzes heilig ist, käme nie auf die Idee, sich selbst für einen Feind der Demokratie zu halten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!