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Antisemitismus"Schweigen ist nicht die Lösung"

Der Antisemitismus unter Jugendlichen hat seit dem 11. September zugenommen, sagt Aycan Demirel von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Dagegen setzt er auf Aufklärung.

Rote Karte gegen Antisemitismus - auch in Kreuzberg Bild: AP
Interview von Kathleen Fietz

taz: Herr Demirel, warum hat sich die Initiative gegründet?

Im Interview: 

AYCAN DEMIREL, 40, ist Mitbegründer der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus und derzeit Projektleiter bei der Entwicklung von Unterrichtsmodulen zu Nahostkonflikt und Antisemitismus.

Aycan Demirel: Einige Pädagogen aus der offenen Jugendarbeit und aus dem schulischen Bereich hatten nach dem 11. September 2001 einen Anstieg von Antisemitismus unter Jugendlichen beobachtet. Sie waren hilflos und wussten nicht, wie sie darauf reagieren sollten.

Woher kam dieser Anstieg?

Schon immer gibt es bei der Beurteilung des Nahostkonflikts eine einseitige Schuldzuweisung und Schwarz-Weiß-Denken. Statt fundierter Kritik gibt es eine antisemitisch motivierte Israelfeindschaft, die an die Jugendlichen herangetragen wird. Bei unserer Zielgruppe der migrantischen Jugendlichen aus dem muslimischen Kulturraum kommen noch andere Faktoren hinzu: Es gibt politische und religiöse Strömungen, die über arabische und türkische Medien permanent antisemitische Sichtweisen propagieren.

Mit welchen Folgen?

Jugendliche haben Menschen mit der Kippa oder anderen jüdischen Symbolen in Kreuzberg angepöbelt und angegriffen, haben Besucher des Jüdischen Museums beschimpft. Wird im Geschichtsunterricht über den Nationalsozialismus gesprochen, fallen oft antisemitische Äußerungen, bis zur Leugnung des Holocaust. Es kursieren Rapsongs, in denen es heißt "Tötet jedes Judenschwein". Solche Sprüche findet man auf Schulwänden wieder.

Ist das in Kreuzberg schlimmer als in anderen Stadtteilen?

Da gibt es keine Daten, nur Erfahrungen von Pädagogen. Meiner Einschätzung nach sind diese Erfahrungen in Neukölln, Wedding oder Charlottenburg nicht viel anders.

Wie reagieren die Jugendlichen in Ihren Projekten?

In unseren Teams immer Herkunftsdeutsche mit Pädagogen mit migrantischen Hintergrund zusammen. Das ermöglicht uns einen besseren Start. Oft versperren sich die Jugendlichen, wenn herkunftsdeutsche Pädagogen zu diesen Themen arbeiten. Ihrer Meinung nach können die Deutschen wegen ihrer Geschichte zwangsläufig nicht anders als Juden beizustehen.

Ernten Sie auch Kritik für Ihre Arbeit?

Antisemitismus unter Migranten ist ein sehr sensibles Thema, weil unsere Zielgruppe eine sozial benachteiligte Gruppe ist und die Jugendlichen oft selbst Opfer rassistischer Diskriminierung sind. Wir hören oft Vorwürfe, dass unsere Arbeit dem Rassismus und der Islamfeindlichkeit in Deutschland Vorschub leistet. Natürlich gibt es Kreise, die den Antisemitismus als Beleg dafür sehen wollen, wie schlimm Muslime sind. Aber das Thema deshalb zu verschweigen, kann nicht die Lösung sein.

Was ist denn mit dem Antisemitismus unter deutschen Jugendlichen?

Wir arbeiten sowohl mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund als auch mit herkunftsdeutschen Jugendlichen. Das hängt von der Klassenzusammensetzung der Schulen ab, in die wir gehen. Wir arbeiten ja in allen Stadtteilen. Wenn wir mit herkunftsdeutschen Jugendlichen über Politik, Ökonomie oder Geschichte diskutieren, kommen auch dort Verschwörungstheorien und antisemitische Stereotype auf: Alle Juden sind reich, haben großen Einfluss in den Medien und in der Finanzwelt die Fäden in der Hand.

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