Antisemitismus in Berlin: Gewaltvoller und enthemmter
Die Informationsstelle Rias spricht von einem neuen Ausmaß von Antisemitismus, von Angriffen auf Kinder. Kritik gibt es an der verwendeten Definition.
Unter die Vorfälle fallen zwei lebensbedrohliche Angriffe. Auch wurden als jüdisch oder israelisch wahrgenommene Menschen auf der Straße geschlagen, getreten oder bespuckt. „Antisemitismus ist heute gewaltvoller und enthemmter als früher“, sagt Julia Kopp.
Immer öfter seien sogar Bildungsorte betroffen: 2024 zählte RIAS mehrere körperliche Angriffe auf Schulkinder. „Viele von ihnen werden von ihren Mitschülern pauschal für den Nahostkonflikt verantwortlich gemacht“, erklärt Alexander Rasumny von der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt OFEK.
Mehr als siebzig Prozent aller Vorfälle stehen laut RIAS-Bericht im Zusammenhang mit „israelbezogenem Antisemitismus“. Dabei geht es beispielsweise um Vergleiche der humanitären Situation in Gaza mit dem Holocaust. Auch Sticker mit Aufschriften wie „Destroy Zionism“ werden als antisemitisch eingeordnet.
Streit um Definition
„Die Unterscheidung zwischen einer politischen Haltung zur Situation in Palästina und Israel sowie Antisemitismus ist nicht immer einfach“, sagt Gil Shohat von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv der taz. Zur Einordnung legte die Bundesregierung 2017 die sogenannte IHRA-Definition als „handlungsleitend“ fest. Auch RIAS Berlin wendet sie an.
„Oft wird die IHRA-Definition jedoch politisch genutzt, um grundsätzlich Kritik an Israel zu delegitimieren“, sagt Gil Shohat. Anfang diesen Monats bekannte sich die Linkspartei deshalb zur Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus (JDA). Shohat erklärt, die JDA lege die Grenzen des Diskurses weiter aus.
Die meisten jüdischen Organisationen in Deutschland kritisierten die Entscheidung der Linken. „Es ist bezeichnend, dass Nichtjuden hier die Stimmen der gewählten jüdischen Vertreter ignorieren“, sagte Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin am Dienstag.
„Auch die JDA ist mehrheitlich von jüdischen und israelischen Wissenschaftler*innen entwickelt worden“, entgegnet Gil Shohat. Letztendlich sei den meisten Jüdinnen und Juden die Definition egal, sie wollten einfach ein Leben in Sicherheit führen.
Die zuständige Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD) zeigte sich von den Zahlen erschüttert: „Uns muss alarmieren, wie sehr Jüdinnen und Juden in unserer Stadt unter Druck stehen.“
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