Antifaschismus auf dem Land: Der Bündnisfall
Die Stärke der AfD in Brandenburg ist eine Herausforderung für antifaschistische Gruppen. Und ein Balanceakt: Sie wollen radikal bleiben und bürgerliche Partner finden.
K urz vor Beginn der Demo auf dem Jüterboger Bahnhofsvorplatz wirkt Clara Mühlheim etwas angespannt. Mit einem Mikro in der Hand steigt die 26-Jährige aus dem zum Lautsprecherwagen umfunktionierten Transporter, ihr schwarzer Pulli ziert die Aufschrift „Es gibt kein ruhiges Hinterland“. Sie ist Mitorganisatorin des Protests gegen den Landesparteitag der AfD, der an diesem Samstag im März in Jüterbog stattfindet.
Die Beteiligung ist gut. Gekommen sind mehrere hundert Leute, eine bunte Mischung aus schwarz gekleideten Antifas, SPD- und Grünen-Fahnen schwenkenden Parteimitgliedern und Anwohner:innen. Doch der Gegenprotest zieht nicht nur Linke an. „Da stehen schon die Faschos“, sagt Mühlheim und deutet auf die Gruppe Jugendlicher, die mit einigem Abstand die Menge beobachten.
Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Kommunal- und Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier auf dem Spiel steht: Wer steht für die Demokratie ein? Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um ihre Existenz?
Die Enthüllungen des Recherchekollektivs Correctiv lösten im Januar eine Protestwelle aus, die bundesweit Millionen Menschen auf die Straße brachte. Allein vor dem Bundestag versammelten sich Anfang Februar rund 300.000 Menschen, um gegen die rechtsextremen Deportationspläne zu demonstrieren. Nach den fast schon eventhaften Großdemonstrationen stellte sich für viele die Frage: Wie geht es jetzt weiter? Was können wir gegen die AfD tun, außer mit gutem Gefühl nach so einer Demo nach Hause zu gehen und auf das Beste zu hoffen?
Auf Fragen wie diese versuchen Brandenburger Antifaschist:innen nicht erst seit den Correctiv-Enthüllungen praktische Antworten zu finden. Sie organisieren Gegenproteste, leisten Bildungs- und Jugendarbeit, schmieden Bündnisse mit zivilgesellschaftlichen Kräften. „Das Wichtigste im Hinterland ist der organisierte Kampf gegen Rechtsradikale“, sagt Mühlheim. Während es in den „Baseballschlägerjahren“ in den Neunzigern in Ostdeutschland noch die Nazis mit Springerstiefeln und Glatze waren, die auf Menschenjagd gingen, stellt heute die Vorherrschaft der AfD in den Parlamenten eine völlig neue Bedrohung dar.
Nur wenige Kilometer vom Bahnhof entfernt lässt sich der in der Identitären Bewegung bestens vernetzte René Springer auf dem Landesparteitag in Jüterbog zum Parteichef wählen. Die Correctiv-Recherchen hat der Bundestagsabgeordnete kurz nach dem Erscheinen so kommentiert: „Millionenfache Remigration ist kein Geheimplan, sondern ein Versprechen.“ Bei den Landtagswahlen im September will Springer die Partei in die Regierung heben. In Umfragen ist die AfD mit fast 30 Prozent mit Abstand die stärkste Partei in Brandenburg.
Die AfD ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, ihre rechtsextreme Hetze salonfähig. Lässt sich der Siegeszug der Partei noch aufhalten?
Noch kein verlorenes Land
„Brandenburg ist kein verlorenes Land“, da ist sich Tom Kurz sicher. Der 30-Jährige wohnt in Strausberg, einer Kleinstadt nordöstlich von Berlin im Landkreis Märkisch-Oderland. Seit über zehn Jahren leistet er antifaschistische Arbeit, vor allem in der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt und dem linken Sozialzentrum Horte, einem wichtigen Knotenpunkt für linke Politik in dem Landkreis. Gegenproteste, sagt Kurz, seien ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen rechts.
Die AfD organisiere im Landkreis mehr Veranstaltungen als alle anderen Parteien zusammen. Stammtische, Infostände oder Bürgerdialoge, die AfD befinde sich in einer Art permanentem Wahlkampfmodus, oft fehle es an Widerspruch.
Die Allgegenwärtigkeit trägt Früchte. Die Aufregerthemen der AfD, Migration, Queerfeindlichkeit und Grünen-Hass, werden zu Ortsgesprächen, Nachbarn und Kollegen teilen rassistische Inhalte in den sozialen Medien. Aus verhaltenem Zuspruch wird offenes Bekennen zur AfD. Rechte Übergriffe nehmen zu, im vergangenen Jahr zählte die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in ihrer Jahreschronik im Landkreis einen Anstieg um ein Drittel gegenüber dem Vorjahr.
„Wir wollen der weiteren Normalisierung der AfD entgegenwirken und rechte Positionen nicht unwidersprochen lassen“, sagt Kurz. Um das zu erreichen, hat er die Kampagne „Kein Acker der AfD“ mitinitiiert. Seit 2020 organisieren Antifaschist:innen unter dem Label systematisch Proteste gegen AfD-Veranstaltungen im Landkreis. Zeitweise gab es keine AfD-Veranstaltung ohne Gegenprotest, erzählt Kurz. Jetzt im März hätte es sogar gar keine weiteren Parteiveranstaltungen im Landkreis gegeben.
Blick auf die Wahlen
Am 22. September wählt Brandenburg einen neuen Landtag. In den letzten Umfragen von Anfang Januar kam die AfD je nach Institut auf 28 bis 32 Prozent und war damit mit Abstand stärkste Kraft. In den letzten Wahlen 2019 konnte die Partei bereits 23,5 Prozent erzielen. In Sachsen und in Thüringen, wo ebenfalls dieses Jahr gewählt wird, kommt die Partei auf ähnliche Werte. Dabei ist die AfD nicht nur ein ostdeutsches Problem. In Niedersachsen rangiert die Partei zum Beispiel bei aktuell 21 Prozent in den Umfragen. Am 9. Juni finden in Brandenburg bereits die Kommunalwahlen statt.
Antifaschismus unterstützen
Neben der Teilnahme an Demonstrationen gibt es auch weitere Möglichkeiten, Antifas in Brandenburg zu unterstützen. So machen Spenden unabhängiger von staatlichen Fördermitteln und halten Strukturen am Leben. Die Falken, die in Brandenburg zwei Jugendklubs betreiben, sind eine gute Adresse. Auch das Strausberger Sozialzentrum Horte freut sich über neue Fördermitglieder, um Jugendklub, Werkstätten und Proberäume weiterbetreiben zu können. Auch das Solidarische Bündnis gegen Rechts hat ein Crowdfunding gestartet.
Doch bewirken Gegenproteste nicht oft das Gegenteil? Fühlen AfD-Wähler:innen sich nicht in ihrer Opferrolle bestätigt und sagen „Jetzt erst recht“? Mag sein, sagt Kurz, bei vielen AfDlern sei das bestimmt so. Aber bei denen sei sowieso nicht mehr viel zu gewinnen. Es gäbe aber noch viele Leute, die erreichbar wären. In einem Umfeld, wo rechtsextreme Meinungen zum guten Ton gehörten, würden diese häufig unhinterfragt übernommen. Widersprüche hingegen, sagt Kurz, „lösen Denkprozesse aus“.
Ohnehin sind Gegenproteste auch ein wichtiger Anlaufpunkt für alle, die der AfD nicht zustimmen. Sich in der Provinz allein gegen die AfD und ihre rechtsextremen Freunde zu stellen, kann schwierig und gefährlich sein. „Du bist nicht anonym, deine Nachbar:innen und die Person im Supermarkt sind die Nazis, gegen die du auf den Veranstaltungen protestierst“, erklärt Demo-Organisatorin Mühlheim.
Wer sich allzu sehr hervorwagt, wird schnell zur Zielscheibe. Auf den linken Jugendklub, in dem Mühlheim arbeitet, gab es in den letzten Jahren sieben Angriffe. Einmal hätten Unbekannte den Briefkasten eines Kollegen mit einem Hakenkreuz markiert. Das schüchtert ein, im Zweifel bleiben viele still.
Doch die Correctiv-Enthüllungen haben viele Menschen mobilisiert, die zuvor politisch nicht aktiv waren. Auch in Jüterbog sind viele zum ersten Mal auf einer Demo gegen die AfD. „Wir hätten das nie für möglich gehalten, dass wir bei so was noch mal mitmachen müssen“, sagen zwei ältere Damen, die sich als Anke und Gudrun vorstellen und „Omas gegen Rechts“-Schilder tragen. Dies sei ihre erste Demo seit ’89, sagt Gudrun. Die beiden kommen aus Treuenbrietzen, einer noch kleineren Stadt in der Nähe. Eine offizielle „Omas gegen Rechts“-Gruppe gäbe es dort zwar noch nicht, sagt Gudrun, aber sie würden daran arbeiten.
Der radikale Duktus der Antifa-Bewegung ist für viele der Neuzugänge ungewohnt. „Nazis gibt’s in jeder Stadt, bildet Banden, macht sie platt“, unterbricht eine Parole vom Lautsprecher das Gespräch. Die beiden älteren Frauen lachen nur: „Ja, wenn wir nicht gerade Rücken haben.“
Nicht alle nehmen es so gelassen. Am Ende der Kundgebung kommt ein älterer Herr zum Lautsprecherwagen und beschwert sich: „Warum wird denn hier von Bullen geredet? Das ist ja wie in den 70ern zu RAF-Zeiten!“
Die eigene radikale Identität und Inhalte wahren und gleichzeitig nicht die bürgerlichen Bündnispartner verprellen: Das ist ein Balanceakt, der heute trotz aller Spannungen funktioniert. „Das ist als SPDler natürlich nur schwer zu hören“, sagt ein Stadtverordneter auf der Demo. In den Redebeiträgen wird nicht nur gegen „die Bullen“ gewettert, sondern auch kräftig gegen die Abschiebepolitik von SPD und Ampel ausgeteilt. „Aber ich bin dankbar, dass die Antifa da ist, auf die kann man sich verlassen.“
Doch diese Verlässlichkeit hat auch ihren Preis. Es gibt nur wenige Aktive, und die machen sehr vieles auf einmal. Die Demonstration habe sie zusammen mit drei anderen Menschen aus der Gegend organisiert, sagt Mühlheim. „Immer mehr Leute scheiden aus, weil sie über viele Jahre versuchen, Strukturen zu erhalten. Wenn deine Gegend eh schon von Wegzug betroffen ist, ist Erschöpfung programmiert.“ Um nicht auszubrennen, hat „Kein Acker der AfD“ beschlossen, nur noch gegen AfD-Veranstaltungen zu demonstrieren, bei denen Parteiprominenz aus der Landes- oder Bundesebene anreist. „Wir wollen der AfD ja auch nicht ständig hinterherlaufen“, sagt Kurz.
Der Orga-Kreis rund um die Demo in Jüterbog hat sich viel Unterstützung von außerhalb geholt. Das Berliner Solidarische Bündnis gegen Rechts hat eine gemeinsame Anreise aus der Hauptstadt organisiert, der rund einhundert Menschen gefolgt sind. Antifas aus Leipzig schützen den Zug vor Übergriffen durch Neonazis.
Diese Form der Unterstützung unterscheidet sich deutlich von den sogenannten Ufo-Demos der Vergangenheit. Wenn Hunderte vermummte Berliner Antifas für ein paar Stunden ins Umland fuhren und martialisch Pyros abfackelten, schreckten die Aktionen vor allem lokale Bündnisparter:innen ab. Und die Antifas vor Ort standen am Ende des Tages wieder allein da. Heute ist das Vorgehen behutsamer, die Berliner:innen halten sich zurück. „Ich bin froh, dass so viele Menschen rausgekommen sind“, sagt Mühlheim. „Ich hoffe, die Vernetzungen bleiben.“
Doch antifaschistische Arbeit wird längst nicht nur von radikalen Linken, sondern auch eher bürgerlichen Kräften geleistet. So sind die Omas gegen Rechts mancherorts präsenter als so manche Antifa-Gruppe.
Das hat auch viel mit den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre zu tun. Immer mehr Berliner:innen, die Ruhe suchen und vor hohen Mieten fliehen, zieht es ins Umland. Wirtschaftlich boomt Brandenburg, statt Massenarbeitslosigkeit herrscht vielerorts Arbeitskräftemangel.
Auch Bad Freienwalde wirkt nicht wie das Klischee des abgehängten Ostens. Die Straßenzüge der ehemaligen Kurstadt zieren frisch sanierte Barockfassaden. Doch zahlreiche Sticker mit der Aufschrift „Make Germany White Again“ zeigen, dass es hier auch schnell mal ungemütlich werden kann.
Das Bündnis „Bad Freienwalde ist bunt“ hat hier im Februar eine Demonstation gegen „faschistische Hetze und für Demokratie“ organisiert. Über 300 Menschen kamen, ein großer Erfolg. Im Nachgang konnte die Initiative viele Neuzugänge verzeichnen. Normalerweise veranstaltet das 2021 gegründete Bündnis einmal im Jahr eine „Kundgebung mit Festcharakter“. Zum festen Repertoire gehört seit vergangenem Jahr die erste Drag Show Bad Freienwaldes. Ein Jugendlicher aus dem Heimatverein eines Nachbardorfs kam auf das Bündnis zu mit dem Wunsch, die Show zu machen.
Angebote zur Identifikation schaffen
„Wir wollen mit den Aktionen ein Identifikationsangebot schaffen“, sagt Judith Strohm vom Bündnis. Sie selbst sei vor vier Jahren nach Bad Freienwalde gezogen, hatte nach politisch Gleichgesinnten gesucht und wurde bei der Initiative fündig.
Dort aktiv seien Menschen, die für eine Gesellschaftsvision kämpfen, die der der AfD entgegensteht, darunter Linke, Queers und Geflüchtete. Gründungshilfe bekam das Bündnis vom Sozialzentrum Horte in Strausberg, in dem Tom Kurz aktiv ist. Die Horte half bei der Organisation des ersten Stadtfests, seitdem ist das Bündnis ein Selbstläufer.
Doch selbst eine Initiative wie „Bad Freienwalde ist bunt“ muss die Erfahrung machen, dass die bürgerliche Mitte in Brandenburg häufig noch sehr scheu ist, wenn es darum geht, klare Kante gegen Rechtsextremismus zu beziehen. An einem Donnerstag Anfang März sitzen zehn Aktivist:innen in einem zum Co-Working-Space umfunktionierten ehemaligen Finanzamt und planen eine weitere Demo. Der Aufruf soll noch mal überarbeitet werden. „Wir haben die Rückmeldung bekommen, dass wir zu sehr ‚dagegen‘ sind“, sagt Strohm. Das Bündnis will Organisationen, Unternehmen und Vereine dazu bringen, den Aufruf zu unterschreiben. Doch einige Vereine hätten bereits abgesagt. Kurz wird diskutiert, den Begriff „Deportationsfantasien“ durch etwas Positiveres zu ersetzen. Doch dann entscheidet sich die Gruppe, den Aufruf nicht weiter zu verändern. „Wir müssen uns da nicht verbiegen“, sagt eine Aktivistin. „Irgendwo müssen wir ja sagen: Hier ist unsere Grenze und Stopp.“
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Bei der Landtagswahl im September steht einiges auf dem Spiel. Egal welche Koalition am Ende entsteht, sicher scheint zu sein, dass die AfD gestärkt aus den Wahlen hervorgeht. Und mit einer starken AfD wächst die Arbeit für die Antifaschist:innen in der Provinz. Auch werden die Bedingungen schwerer, denn die Partei hat die linken Strukturen im Visier. Mehrmals schon wollte die AfD dem sozialistischen Jugendverein Falken, in dem auch Clara Mühlheim aktiv ist, die Mittel streichen.
Auch die Zukunft des Strausbergers Sozialzentrums Horte ist ungewiss. „Das Horte ist immer noch ein kommunales Gebäude, der Vertrag läuft nur für zwei Jahre“, sagt Kurz. Dazu kommt, dass das Land Brandenburg wegen der angespannten Haushaltslage ohnehin schon viele soziale Projekte zusammenkürzt. Viele Aktivist:innen hätten Jobs im sozialen Bereich, die an diesen Mitteln hängen.
Daher müsse man abseits von Protesten und Straßenfesten auch nach anderen Wegen suchen, dem Rechtsruck beizukommen. Gerade in der Provinz gebe es kaum noch linke oder grüne Kandidaten für die Kommunalwahlen. Er und andere Aktive hätten daher beschlossen, selbst im Juni bei den Kommunalwahlen zu kandidieren. Auch Konfliktthemen von links zu besetzten, wie die Tesla-Proteste in Grünheide, sei ein guter Weg, Aushandlungsräume zu schaffen, in denen man mit den Menschen in Kontakt tritt. „Eine gute linke Politik ist die beste Strategie gegen die AfD“, ist sich Kurz sicher.
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