Antibiotikum im Grundwasser: Die Schweine sind schuld
In einem niedersächsischen Wasserwerk wurde ein nur für Tiere zugelassenes Antibiotikum nachgewiesen. Die Landwirte wollen dafür nicht allein verantwortlich sein.
BERLIN taz | Wieder sind Antibiotika, die in der Tierhaltung verwendet werden, im Grundwasser gefunden worden: Im Landkreis Cloppenburg hat der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband erstmals den Wirkstoff Sulfadimidin nachgewiesen. Dieser ist ausschließlich als Tierarzneimittel zugelassen. Vermutet wird, dass Schweine das Medikament bekamen, mit deren Exkrementen Bauern Felder oder Wiesen düngten. „Die drei betroffenen Messstellen liegen unter landwirtschaftlich genutzten Flächen“, sagte Wasserwerksbereichsleiter Egon Harms der taz. „Die Tierzahlen in dieser Region steigen stetig.“
Das Umweltbundesamt hatte schon 2012 und 2013 an insgesamt neun von 48 Messstellen Antibiotika im Grundwasser gefunden, was aber von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Dieses Mal griffen Politiker und Tierschützer das Thema auf.
„Der flächendeckende und völlig überzogene Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung wird immer mehr zu Bedrohung für uns Menschen“, kritisierte zum Beispiel Friedrich Ostendorff, Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. „Wenn Zigtausende Tiere auf engstem Raum unter artwidrigen Bedingungen gehalten werden, um massenhaft billiges Fleisch zu produzieren, sind die Leidtragenden nicht nur die Tiere, sondern letztendlich auch wir Menschen.“ Die Tierrechtsorganisation Peta forderte eine „bio-vegane Landwirtschaft“.
Tatsächlich werden immer mehr gefährliche Bakterien resistent gegen Antibiotika, weil die Medikamente massenhaft eingesetzt werden und so Mutationen der Keime wahrscheinlicher werden. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sterben in der Europäischen Union jährlich 25.000 Menschen, weil die Mittel nicht mehr wirken. Den zuständigen Behörden zufolge verbraucht die Landwirtschaft mehr als doppelt so viele Antibiotika wie die Humanmedizin.
Bei dem Fall in Cloppenburg besteht aber laut Wasserwerk „derzeit keine Gefahr“ für das Trinkwasser. Zum einen sind die im Grundwasser gemessenen Werte sehr niedrig: 0,02 bis 0,03 Mikrogramm je Liter – knapp oberhalb der Nachweisgrenze und weit unter dem vom Umweltbundesamt empfohlenen Limit von 0,1 Mikrogramm. Zum anderen wurde das Medikament in nur zehn Metern Tiefe gefunden. Die Brunnen des Wasserwerks sind aber 50 bis 100 Meter unter der Erdoberfläche. „Unsere Sorge ist jedoch, dass diese Stoffe im Laufe der Zeit in die tieferen Schichten wandern, aus denen wir das Wasser trinken“, erklärte Harms.
Unbekannte Auswirkungen auf das Ökosystem
Experten zufolge ist ungeklärt, welche möglicherweise negativen Folgen die Antibiotika etwa auf Mikroorganismen im Ökosystem Grundwasser haben. Das Wasserwerk fordert nun eine „Diskussion über den maßvollen Einsatz von Gülle, Pflanzenschutzmitteln und Medikamenten“. Eine Lösung könne nur gemeinsam mit den Landwirten, der Pharmaindustrie und den Tierärzten gefunden werden.
Der Bauernverband im Landkreis Oldenburg, der Kreislandvolkverband, warf dem Wasserwerk dagegen vor, sich „unwissenschaftlich“ zu verhalten. Sulfamidin werde auch in der Humanmedizin eingesetzt – könnte also auch von dort und nicht aus der Landwirtschaft kommen. Nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte war das Medikament für die Behandlung von Menschen aber nur bis 1992 zugelassen.
Pharmakologieprofessor Ulrich Schwabe von der Universität Heidelberg, der seit 1985 den Arzneiverordnungs-Report über die 3.000 am häufigsten verschriebenen Medikamente auflistet, ergänzt: „Das Mittel hat in den letzten 50 Jahren nie eine wesentliche Rolle gespielt.“
Und auch Wasserwerker Harms sagt: „Das Grundwasser, das wir in der Tiefe messen, ist maximal drei bis fünf Jahre alt.“ Es könne also nicht aus der Zeit vor 1992 stammen. Zudem gebe es in der betroffenen Region „nichts außer Acker, Wiese und Wald“. Harms kann sich vorstellen, dass das „der letzte Versuch der Landwirtschaft“ ist, „sich aus der Nummer herauszureden“. Er findet: „Das ist einfach Blödsinn.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball