Anti-Terror-Kampf: "Rechtsstaat nicht aufgeben"
Der Völkerrechtler Christian Tomuschat hält gezielte Tötungen für unvertretbar, denn zivile Opfer wären unvermeidlich.
taz: Herr Tomuschat, der Innenminister will klären, ob man führende Terroristen wie Ussama Bin Laden gezielt töten darf. Sehen Sie Klärungbedarf?
Christian Tomuschat: Nein, solche targeted killings, gezielte Tötungen, sind völkerrechtlich eindeutig unzulässig. Da gibt es nichts zu klären und zu regeln.
Warum ist das unzulässig?
Schon deshalb, weil fast immer auch Unschuldige dabei getötet werden, Begleitpersonen, Familienangehörige, Passanten. Das ist durch nichts zu rechtfertigen.
Und wenn es gelänge, unschuldige Opfer zu vermeiden?
Das ist eine völlig hypothetische Frage. Im Nahostkonflikt sehen wir ja, was passiert, wenn gezielte Tötungen zugelassen werden. Es gibt immer unschuldige Opfer. Als Israel 2004 den geistigen Führer von Hamas, Scheich Jassin, mit einer Rakete tötete, starben dabei auch acht Begleitpersonen, zwölf weitere wurden verletzt. Targeted killings sind ähnlich rücksichtslos wie die Anschläge von Terroristen.
also Staatsterrorismus?
Es geht sehr in diese Richtung. Ich finde die von Schäuble aufgebrachte Diskussion ungeheuerlich. Ein Rechtsstaat darf sich nicht so aufgeben.
Schäuble meint, die alten Kategorien passen nicht mehr. Er will die Verfassung an die neuen terroristischen Herausforderungen anpassen
Er muss aber immer auch das Völkerrecht beachten, das streng zwischen Kombattanten, also Kämpfern, und Zivilpersonen unterscheidet. Einen Kombattanten darf ich im Krieg töten, einen Zivilisten nicht. Diese Unterscheidung ist fundamental. Der Terrorist ist kein Kombattant, er nimmt nicht an militärischen Auseinandersetzungen teil. Er ist ein Schwerkrimineller, der vor Gericht gestellt werden muss.
Der General darf also im Krieg getötet werden, weil er Uniform trägt. Und wer in Zivil Selbstmordattentate koordiniert, muss verhaftet werden?
So ist es. Die Verhaftung mag in Afghanistan schwierig sein, aber wir dürfen grundlegende Wertungen des Völkerrechts nicht aufgeben. Oft weiß man ja gar nicht sicher, ob jemand Terrorist ist, meist gibt es nur unüberprüfbare Geheimdienstinformationen. Im Rechtsstaat muss sich ein Mensch gegen so schwerwiegende Anschuldigungen in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung verteidigen können.
Abu Mussab al-Sarkawi, Al-Qaida-Statthalter im Irak, wurde von den Amerikanern 2006 gezielt liquidiert. Er hatte Geiseln vor laufender Kamera die Kehle durchgeschnitten. Da hat es sicher nicht den Falschen getroffen
Natürlich gibt es Terroristen, die sich offen zu ihren Taten bekennen. Aber wenn gezielte Tötungen erst einmal akzeptiert werden, bleibt es ja nicht bei diesen offensichtlichen Zielen, dann brechen alle Dämme, dann werden Menschen aufgrund eines bloßen Verdachts von Geheimdienstlern getötet. Das ist nicht rechtsstaatlich eingrenzbar.
Schäuble hat targeted killings mit dem finalen Rettungsschuss im Polizeirecht verglichen. Auch an Notwehr könnte man denken
Der polizeiliche Todesschuss ist nur zulässig, um eine Person in Lebensgefahr zu retten, zum Beispiel eine Geisel, wenn kein anderes Mittel mehr zur Verfügung ist. Die Notwehr, als Jedermann-Recht, ist ebenfalls nur zur Abwehr eines gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Angriffs möglich. Das passt alles nicht auf Menschen, die vielleicht irgendwann einen Terroranschlag planen. Wer weiß, möglicherweise haben sie bis dahin ein religiöses Erlebnis, das sie zur Umkehr bewegt.
Dürfen deutsche Soldaten oder Agenten sich beteiligen, wenn die Amerikaner Bin Laden oder andere Terroristen mit einer gezielten Rakete liquidieren wollen? Dürfen sie etwa Informationen über den Aufenthaltsort und die Gewohnheiten eines Verdächtigen liefern?
Nein. Sie müssen den Amerikanern klarmachen, dass solche außergerichtlichen Hinrichtungen weder vom deutschen Recht noch vom Völkerrecht gedeckt sind.
Muss vor jeder Weitergabe von Informationen eine Zusicherung eingeholt werden, dass diese nicht zu targeted killings verwendet werden?
Das wäre übertrieben. Die Zusammenarbeit der Geheimdienste ist sehr wichtig und darf auch nicht übermäßig behindert werden. INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
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