■ Anti-Hooligan-Programm: In welcher Liga spielt Minister Kanther?: „Öffentlichkeitsbefriedigung“
Auch Hooligans haben untereinander eine Rangordnung: Die Schalker gelten als gute Gegner, weil sie „Masse bringen“ können; die Nürnberger als die Fairsten; die Düsseldorfer sind unkorrekt und die Gladbacher unter Niveau. Die Polizei teilt sie entsprechend ihrem Aggressionspotential in Kategorien von A bis C ein. Seit dem Überfall deutscher Fußballrowdys auf einen französischen Polizisten bei der Fußball-WM gehört diese Unterscheidung zum bundesdeutschen Basiswissen.
Die Schlägerei von Lens hatte das nationale Ansehen beschädigt, darin war sich eine breite Allianz aus Politikern, DFB-Funktionären, „richtigen“ Fans und selbst jenen, denen Fußball ansonsten eher schnuppe ist, einig. Polizei und Bundesgrenzschutz haben schnell und massiv reagiert – Meldeauflagen für Hooligans und Massenkontrollen an den Grenzen. Wider Erwarten waren die Maßnahmen erfolgreich. Oder lag das Ausbleiben weiterer Krawalle schlicht daran, daß die deutsche Mannschaft so früh ausgeschieden ist? Sei's drum. Alles ging gut, und die WM ist zu Ende. Nicht für Bundesinnenminister Manfred Kanther.
Mit dem ihm eigenen Übereifer hat Kanther nun sein „Anti-Hooligan-Programm“ vorgestellt, eine bunte Mixtur aus bereits Bestehendem und rechtlich Bedenklichem: Meldeauflagen, Reiseverbote, Unterbindungsgewahrsam und anderes mehr. Auch Kanther dürfte bewußt sein, daß das vorgestellte (Re-)Aktionsprogramm, sollte es jemals umgesetzt werden, zahlreiche Prozesse um die Rechtmäßigkeit solcher Auflagen nach sich ziehen wird. Egal, denn im Wahlkampf herrschen andere Gesetzmäßigkeiten. Hier gilt es Härte und demonstrative Entschlossenheit zu zeigen. „Öffentlichkeitsbefriedigung“ heißt dies im Jargon der Hooligans. Wenigstens an diesem Punkt haben sie einmal recht.
Kanthers Ideen sollten mit der gebotenen Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen werden. Denn seine Sprache ist verräterisch. „Wer Schlägereien beginnt“, kündigte der Minister an, der „muß mit dem Polizeiknüppel rechnen.“ Das klingt nach „Schlagt drauf und Schluß!“. Ebenso problematisch ist seine Formulierung, es müsse möglich sein, „die zehn bis 100 bekannten Schläger“ an ihrem Wohnort „unschädlich“ zu machen. Das ist eine Wortwahl, die ein Minister in einem Rechtsstaat tunlichst vermeiden sollte. Die Hooligans und der Bundesinnenminister sind gedanklich offenbar nicht so weit von einander entfernt. Vor wem sollten sich die Bürger mehr fürchten? Otto Diederichs
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