Anti-Atomkraft-Bewegung: Kernenergie-Proteste 2.0
Campact organisiert Unterschriftensammlungen im Netz. In diesem Jahr soll für den Atomausstieg Druck gemacht werden. Teil 6 der taz-Serie zur Anti-Atomkraft-Bewegung.
BERLIN taz Auch die Anti-Atomkraft-Bewegung ist im Netz angekommen: Wer früher auf Demos und Aktionen dabei war, kann seine Meinung heute mit einem Klick kundtun. Über 45.000 Menschen haben bereits die Erklärung "Atomkraft jetzt abschalten" unterschrieben. Möglich wird das durch Campact, ein Onlinenetzwerk, das den Bürgern eine Stimme geben will.
Der jüngste Castor-Transport im November hat gezeigt: Die Antiatomkraftbewegung ist lebendig. Doch woher kommen die vielen tausend Menschen, die rund um Gorleben protestierten - und was machen sie, wenn gerade kein Atommülltransport durchs Land rollt? Im ganzen Land engagieren sich Initiativen gegen Atomkraft. Und zwar auf unterschiedliche Weise: Die einen versuchen, die Finanzierung von Atomkraftprojekten zu verhindern; andere vernetzen Atomkraftkritiker per Internet. Zum Beginn des Wahljahrs, in dem wichtige Atomkraftentscheidungen fallen, stellt die taz täglich eine Antiatomkraftinitiative vor.
Teil 5: Anreicherung – Kampf gegen Gronauer Uran (02.01.2009)
Teil 4: Herkunft – Auf den Spuren des Urans (31.12.2008)
Teil 3: Risiken – Keine AKW im Erdbebengebiet (29.12.2008)
Teil 2: Spätfolgen – Selbsthilfegruppe für Atomopfer (29.12.2008)
Teil 1: Ausgestrahlt – Newsletter aus der Anti-Atom-Bewegung (27.12.2008)
Die Idee des Onlineaktivismus stammt aus den USA: Die Gründer von Campact haben vieles von moveon.org abgeschaut. Seit vier Jahren können sich auch die deutschen Internetnutzer an elektronischem Protest beteiligen, unter anderem gegen Atomkraft. "Die einzelne Person geht unter, aber hunderttausende Menschen können den Unterschied machen", sagt Campact-Mitgründer Felix Kolb.
Damit sich möglichst viele Menschen an dem Onlineprotest beteiligen, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein, bevor die Campact-Aktivisten per Mail zur Unterschrift gebeten werden: Nur wenn ein Entscheidungsprozess ansteht und es einen "signifikanten Widerspruch gibt zwischen dem, was die Regierung oder eine Partei vorhat, und dem, was die Mehrheit der Bevölkerung will", kommt ein Aufruf infrage, erklärt Kolb. Außerdem müsse es eine "reale Chance" auf Erfolg geben. Kolb hat über soziale Bewegungen promoviert und weiß: "Nicht alle Zeitpunkte sind gleich gut für Veränderungen."
Für den Atomausstieg sei 2009 ein entscheidendes Jahr, sagt Christoph Bautz, der für Campact an den Anti-Atomkraft-Kampagnen arbeitet. "Die eigentliche Auseinandersetzung wird im Wahlkampf sein. Jetzt geht es darum, das Feld so zu bereiten, dass wir da schlagkräftig sind." Den Anti-Atomkraft-Appell sollen darum 100.000 Menschen unterzeichnen, die Campact auch während Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen ansprechen kann, um Druck für den Atomausstieg zu machen.
Das Onlinenetzwerk will aber auch in der realen Welt aktiv werden: Wenn sich im Februar das Deutsche Atomforum, der Lobbyverband der Atomindustrie, zur Wintertagung trifft, soll es von Großplakaten mit Argumenten gegen Atomkraft umzingelt werden. 40 Plakatwände sind angemietet, außerdem sollen acht Transparente von 80 Luftballons vor die Fenster des Tagungsorts gehoben werden. Was auf den Plakaten steht, das entscheiden Campact-Aktivisten im Internet. Bis zum 10. Januar können Sprüche vorgeschlagen und abgestimmt werden.
Für Felix Kolb sind die Internetnutzer auch ein "Pool der Kreativität". Knapp 1.000 Vorschläge finden sich bereits auf der Internetseite. Weil man nach jeder Onlineunterschrift gebeten wird, Freunde und Bekannte auf die Aktion aufmerksam zu machen, wächst der Kreis der Mitstreiter stetig. Campact selbst verschickt E-Mails an knapp 90.000 Menschen. Wer am anderen Ende des Kabels vor dem Bildschirm sitzt, wissen die zehn Mitarbeiter, die in Berlin und im niedersächsischen Verden ihr Büro haben, selbst nicht so genau. Kolbs Eindruck: "Das geht quer durch alle Bevölkerungsschichten."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?