Anschlag: Trauer, Wut und keine heiße Spur
Nach dem Mord an einem jungen Mann in Neukölln kritisiert dessen Familie die Polizei: Sie sei nicht informiert worden und müsse auch jetzt Auskünfte selbst einfordern.
Blumen und Bilder markieren die Bushaltestelle in Neukölln, an der der 22-Jährige Burak B. in der Nacht auf Donnerstag erschossen wurde. Ein Unbekannter hatte ohne Vorwarnung das Feuer eröffnet, den jungen Mann getötet, zwei weitere schwer verletzt. Nun üben die Angehörigen Kritik an der Polizei: Die Beamten hätten die Familie nicht über den Tod ihres Sohnes informiert, sagt Müzeyyem B., eine Tante des Opfers. Auch jetzt erhielten sie nur spärlich Informationen.
Der unbekannte Angreifer war um 1.15 Uhr vor einer Gruppe von fünf Jugendlichen aufgetaucht, die sich auf dem Gehweg der Rudower Straße unterhielten. Offenbar ohne Vorwarnung zog er eine Pistole und eröffnete das Feuer. Burak B. starb im Krankenhaus. Zwei weitere Opfer, 16 und 17 Jahre alt, wurden lebensgefährlich verletzt. Sie wurden notoperiert, ihr Zustand ist laut Polizei inzwischen stabil. Der Täter flüchtete zu Fuß.
Foto des Getöteten
Die Nachricht vom Tod Buraks erreichte die Familie über Umwege: Um sechs Uhr morgens, vier Stunden nach der Tat, hätten sie nicht von der Polizei, sondern von Buraks Freunden vom Attentat erfahren, erzählt Müzeyyem B.. Die Eltern hätten im Krankenhaus nach ihrem Sohn gesucht, dann auf diversen Polizeiwachen. Niemand habe ihnen Auskunft geben können, wo sie hin müssten, berichtet die Tante.
Eine Kusine des Getöteten habe die aufgelösten Eltern gefahren. „Auf einer Wache hat man dieser dann ein Foto von dem Getöteten vorgelegt und gefragt, ob er das sei“, so Müzeyyem B. – ein Schock für die junge Frau. Dabei hatte Burak nach Aussagen der Familie seinen Personalausweis bei sich, die anderen jungen Männer der Gruppe hätten die Adresse der Familie gekannt.
Die Pressestelle der Polizei konnte am Ostermontag noch nicht aufklären, warum die Familie nicht von Beamten über den Tod ihres Sohnes informiert wurde. „Wir sehen, dass die Polizei sich jetzt Mühe gibt, den Täter zu finden“, sagt Müzeyyem B.. Aber die Familie werde auch jetzt über den Ermittlungsstand nicht auf dem Laufenden gehalten. Immer wieder müsse der Vater selbst die Polizei anrufen, um neue Informationen zu bekommen. Nichts zu wissen, so die Tante, sei für Buraks Mutter das Schlimmste.
Eine Spur gebe es noch nicht, sagt eine Polizei-Sprecherin am Montag. 22 Hinweise aus der Bevölkerung gingen ein. Die beiden jungen Männer, die unverletzt blieben, beschrieben den Täter als etwa 1,80 m groß, er habe einen grün-schwarzen Kapuzenpulli mit Reißverschluss getragen. Einen Verdächtigen, den die Polizei am Freitag festnahm, ließ sie kurz darauf wieder frei.
Einige türkische Zeitungen haben den Überfall mit der Mordserie der Zwickauer Terrorzelle in Verbindung gebracht. Auch Anwohner mutmaßen, die Tat habe möglicherweise einen rechtsextremen Hintergrund. „Man kann so etwas nie ausschließen, es gibt aber nicht ein Indiz, das in eine solche Richtung führt“, sagt der Chef des Landeskriminalamtes, Christian Steiof.
Vier Tage nach dem Mord herrscht in der ruhigen Einfamilienhaussiedlung im Stadtteil Rudow, in der Familie B. wohnt, Trauer und Entsetzen. „Wir alle hier kannten Burak, er war unser Stern“, sagt eine Nachbarin. In einem Jahr hätte der junge Berliner seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei Fiat beendet. Jetzt trauern Freunde und Verwandte im Haus seiner Eltern. Die zehnjährige Schwester des Ermordeten wisse noch gar nicht, dass ihr Bruder tot sei, sagt Buraks Tante Müzeyyem B.: „Morgen kommen Psychologen, die die Geschwister und die Eltern betreuen sollen.“
Jeden Abend seit der Tat versammeln sich Freunde des Getöteten vor dem Haus seiner Familie, erzählt die Nachbarin: „Da kommen arabische, deutsche, türkische Jugendliche.“ Auf Rache sei keiner von ihnen aus. Im Gegenteil: Sie hätten Angst um die Jungen in der Nachbarschaft: „Wir wissen doch nicht, ob sich der Täter hier irgendwo im Gebüsch versteckt!“
Buraks Mutter kann sein Zimmer unter dem Dach des Elternhauses noch nicht betreten. Ihr stehe das Schlimmste noch bevor, meint die Tante: Buraks Beerdigung und die Vorbereitungen dafür, bei denen sie die Leiche ihres Sohnes erstmals sehen werde. Denn noch ist der Leichnam nicht von der Polizei freigegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr