Anonymität im Netz: Die Maske des Nicknames
Anonymität im Netz ist ein hohes Gut. Bewertungsportale profitieren von ihr. Doch die Kritik aus dem Hinterhalt schadet.
Es ist ein Urteil von weitreichender Bedeutung für die digitalen Provinzen der menschlichen Gesellschaft. Ein Arzt aus Schwäbisch-Gmünd hatte sich durch wiederholte anonyme Bewertungen auf einem entsprechenden Verbraucherportal verleumdet gefühlt – und vor dem Bundesgerichtshof (BGH) den Betreiber auf Herausgabe von Name und Anschrift des Kommentators geklagt. Diese Klage hat der BGH nun abgewiesen. Zur Veröffentlichung der Identität eines anonymen Nutzers sind Bewertungsportale auch weiterhin nur dann verpflichtet, wenn eine Strafanzeige vorliegt.
In den Beiträgen auf dem Portal Sanego hatte der Patient unter anderem behauptet, drei Stunden gewartet zu haben und dem Arzt unterstellt, er lagere Patientenakten in Wäschekörben. Auf Betreiben des Arztes hatte Sanego die nachweislich falschen Vorwürfe gelöscht, worauf die gleichen Vorwürfe bald wieder auftauchten und mehrere Monate zu lesen – bevor sie erneut gelöscht wurden. Zusätzlich zur Löschung verlangte der Arzt daraufhin die Herausgabe der Identität des Kommentators, was ihm in mehreren Instanzen zugebilligt wurde. Der Betreiber des Portals sah sich durchaus zurecht in seinem Geschäftsmodell bedroht und ging erfolgreich gegen diesen Teil des Urteils in Revision.
Bewertungsportale mögen ein Geschäft für deren Betreiber sein. Für das Internet ist wiederum die Anonymität ein hohes Gut, nicht nur beim Erwerb von Sexspielzeug oder für den Austausch über medizinische oder psychische Probleme. Es ist ein wesentlicher Pfeiler des Datenschutzes, dass die Veröffentlichung, Verbreitung oder Verarbeitung personenbezogener Daten nur dann zulässig ist, wenn der Betroffene eingewilligt hat oder wenn ein Gesetz die Verarbeitung erlaubt.
Die Anonymität eines Nutzers darf laut Telemediengesetz nur bei Strafverfolgung, Gefahrenabwehr oder der Durchsetzung von Urheberrechten gelüftet werden. Persönlichkeitsrechte seien davon unberührt. Das Grundsatzurteil betrifft daher nicht nur die Branche der Bewertungsportale, bei denen der „Content" größtenteils von anonymen Kunden beigesteuert wird, sondern auch die betroffenen Ärzte, Anwälte, Mechaniker, Hotels oder sonstige Dienstleister. Wer rufschädigende Inhalte löschen lassen möchte, muss sich auch weiterhin direkt an den Betreiber wenden, der seinerseits die Trolle unter den Kommentatoren mit spezieller Software blockieren kann. Wenn er denn mag – oder im Einzefall dazu rechtskräftig verurteilt wird.
Wer als Betreiber von Bewertungsplattformen bestehen will, wird mittelfristig dafür sorgen müssen, dass er nicht nur viele, sondern auch fundierte Bewertungen veröffentlicht – ganz so wie beispielsweise die New York Times, die ihre Kommentatoren erst einmal besser kennenlernen möchte, bevor sie freigeschaltet werden.
Hinter der Maske eines Nicknames fallen nämlich gerne auch mal sinnvolle Hemmungen. Und Kritik, die nur aus dem Hinterhalt der Anonymität heraus geäußert wird, ist nichts wert. Sie schadet sogar. Nicht nur dem Betroffenen, sondern auch dem Grundsatz der Anonymiät im Netz.
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