Annika Becker Unten: Voll die Härte: Wer spielt physischer?
Eine der hässlichen Seiten des Fußballs ist das Zurückfallen in Klischees über Länder oder ganze Regionen. Aktuelles Beispiel: die Berichte über Kolumbien. Spätestens seitdem die Irinnen ihr nicht-öffentliches Testspiel gegen Kolumbien aus „Sorge um die eigene Gesundheit“ nach zwanzig Minuten abbrachen, geht es bezogen auf sie nur noch um „Physis“ und „Härte“, als positives Gegengewicht muss dann immer die „große Leidenschaft“ herhalten.
So war es auch auf den Pressekonferenzen vor der Partie gegen Deutschland: Auf beiden PKs gab es gleich mehrere Fragen zum Thema. In Folge schoben sich beide Seiten das Prädikat „Körperlichkeit“ zu. Das wird im internationalen Fußball auch als positiv ausgedrückte Beleidigung dafür empfunden, dass die anderen Fähigkeiten einer Mannschaft nicht so ausgeprägt sind. Auf die Frage, ob es einen Unterschied bei der Körperlichkeit zwischen den südamerikanischen und europäischen Ligen gebe, sagte die deutsche Nationalspielerin Lina Magull: „Ich glaube, dass Nationen wie Kolumbien eine gewisse Leidenschaft in sich tragen und das auch sehr deutlich auf den Platz bringen, was ich sehr beeindruckend finde. Das gehört auch zu der Art und Weise, wie sie Fußball spielen möchten und unterscheidet sich natürlich auch vom europäischen Fußball, wo der Fokus eher darauf liegt, die taktischen Inhalte umzusetzen, technisch fokussierter zu sein.“
Magull wollte das nicht als etwas Negatives verstanden wissen, es sei „schön“, dass es im Fußball „mehrere Facetten“ gebe, allerdings bediente sie, losgetreten durch die Fragen, eben auch viele Klischees. Klar kam das bei den anwesenden Leuten aus Kolumbien nicht gut an. Deshalb gab es auf der nachfolgenden PK die Frage in die andere Richtung an die kolumbianische Spielerin Lady Andrade: Was denke sie über Magulls Aussagen? Andrade schob die Körperlichkeit ihrerseits den Europäerinnen zu, deren Physis ihren Fußball charakterisiere. Technisch habe sich der europäische Fußball verbessert. Das Spiel Kolumbiens sei sehr vielseitig, das Spiel in Europa ihrem Eindruck nach sehr vertikal.
Bei der Verständigung über das Thema half es nicht, dass die von der Fifa bereitgestellte Simultanübersetzung auf beiden PKs mehrfach Fragen nicht korrekt wiedergab, so gab es auf die Frage eines Kollegen danach, was Andrade zu diesen Vorurteilen denke, leider keine Antwort.
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