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Anne Will zum Thema AntisemitismusWir müssen reden

Bei Anne Will wurde am Sonntag über Antisemitismus diskutiert. Twitter-User*innen witterten Zensur. Dabei sollten sie einfach mal zuhören.

Parallel zur Debatte im Ersten fand eine auf Twitter statt Foto: NDR

Im Studio von Anne Will beginnt die Auseinandersetzung mit dem Deutschland der Gegenwart mit einer Reise in die Vergangenheit. Esther Bejarano berichtet, wie sie als junges Mädchen nach Auschwitz deportiert wurde. Wie der Eintritt ins Mädchenorchester Auschwitz der heute 93-Jährigen das Leben rettete – obwohl sie nie zuvor ein Akkordeon in der Hand gehalten hatte. Wie sie von den Alliierten befreit wurde und 1945 nach Palästina ging. Und wie sie 1960 trotz allem mit ihrer Familie nach Deutschland zurückkehrte, wo sie seitdem unablässig gegen das Vergessen kämpft: durch Besuche in Schulen, durch Musikprojekte, durch öffentliche Auftritte.

Die ganze erste Hälfte der Sendung mit dem Thema Antisemitismus in Deutschland spricht die Zeitzeugin, und das ist gut. Denn das Erinnern an den Holocaust hängt unmittelbar mit unserer Gegenwart zusammen. Um Verantwortung für die Zukunft übernehmen zu können, muss man die Vergangenheit kennen. Für das Streben nach einer freien Welt muss man wissen, wohin Rassismus und Antisemitismus führen können. Ihr mache das, was sie heute beobachte, der Aufstieg rechter Parteien etwa, Angst, sagt Bejarano. „Wir müssen uns ihnen entgegenstellen.“

Mit Bejarano und Will diskutieren Monika Grütters (CDU), Sawsan Chebli (SPD), Wenzel Michalski, dessen Sohn an seiner Schule antisemitisch angegriffen wurde, und Julius ­Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums in Potsdam. Es wird immer wieder um die Frage gehen, was man tun kann. Tun muss. Es wird um Zeitzeug*innen gegen und um verpflichtende und freiwillige KZ-Gedenkstätten-Besuche.

Und darum, wer die Anti­semit*innen eigentlich sind. Ein Diskussionsstrang, der dem Mob auf Twitter wohl entgangen ist. Denn dieser krakeelt wie auf Kommando, bei Anne Will werde das Thema muslimischer Antisemitismus zensiert.

Nicht alle Familien haben einen Bezug zu den Nazis

Kinder mit türkischem und arabischem Hintergrund hätten seinen Sohn in der Schule angefeindet und geprügelt, erzählt Michalski. Die Schule hätte nichts unternommen. Es gebe Rassismus unter Migrant*innen, sagt Chebli – auch, wenn die meisten antisemitischen Straftaten weiterhin von rechts begangen würden. Diese Menschen seien in einem anderen Umfeld sozialisiert worden – in Ländern mit antizionistischer oder antisemitischer Haltung, wie Will es vorher formuliert. Chebli zeigt auf, wie wichtig eine umfassende und gute pädagogische Aufbereitung des Themas sei – gerade für Jugendliche mit Migrationshintergrund und mit jungen Geflüchteten.

In einer Einwanderungsgesellschaft haben nicht alle Familien einen historischen Bezug zum Nationalsozialismus und seinen Verbrechen. Die Großväter vieler junger Menschen, die heute hier leben, waren damals weder Täter noch Opfer. „Was hat das mit mir zu tun?“ Diese Frage höre sie oft im Gespräch mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund, sagt Chebli.

Um Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen, muss man die Vergangenheit kennen

Diese Frage zu beantworten ist die große Aufgabe. Die Erinnerung an die Verbrechen des Holocaust sei der beste Schutz unserer Demokratie, betont Chebli. Dort, wo Antisemitismus herrsche, gebe es häufig auch Islamophobie. Hass ist vielseitig; auch das hat der Rassismus der Nazis gezeigt. Um so wichtiger ist es, ihm Seite an Seite entgegenzustehen.

Und die Nachfahren der Täter*innen? Es ist längst nicht nur der rechte Rand, der fordert, mit diesem „Schuldkult“ müsse jetzt langsam mal Schluss sein. So tönt es in etlichen Schulklassen, wenn der Zweite Weltkrieg ein ums andere Mal Unterrichtsthema ist, ohne dass darüber gesprochen wird, warum das Darübersprechen so wichtig ist. „Ich sage den Jugendlichen immer: Ihr habt keine Schuld an dem, was geschehen ist“, sagt Bejarano. „Aber ihr macht euch schuldig, wenn über die damalige Geschichte nichts wissen wollt.“

Hinhören, wenn es unmenschlich wird

Und während im Netz, dem lautstarken Zweitpublikum jeder Talkshow, der Mob entweder betont, er habe längst abgeschaltet, weil schon wieder Holocaust und Schuld und so, oder sich beklagt, dass die böse muslimische Frau den Islamismus verharmlose, sagt Esther Bejarano zum Rassismus in Deutschland: „Das ist meiner Meinung nach unmenschlich“.

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8 Kommentare

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  • Liebe Dinah,

    ich hab mir durch Deinen Artikel inspiriert einen Teil der Sendung angesehen und auch die von Dir erwähnten "Mob Kommentare" der Sendung - einer war wie ich Jahr-

    gang 1951 und hat mit der Schule ein KZ besucht - bei mir war es Dachau bei München (also nicht DDR - antifaschistisch) . Dafür wurde

    unser Lehrer als alter Nazi gemobbt -

    soviel zum Mob. "Wir müssen reden",

    darüber , dass Nationalismus in seiner extremen Form zu Pogrom führt und dass diese Form der Verfolgung auch heute weltweit statt-

    findet. Die Mutter von Lizzie Doron

    (Jg.1953) überlebte wie Frau Bejarano

    auch das KZ - sie wollte aber nicht über diese schreckliche Vergangenheit sprechen -ihr war es

    wichtiger wie die Zukunft wird, wie

    Israel in Frieden mit seinen Nachbarn

    leben kann. Lizzie Doron schreibt in

    "Sweet Occupation" wie sie zu der "Friedenskämpfer-Bewegung" kam -

    Palästinenser und Juden gemeinsam für den Frieden. Das wäre für viele

    Jugendliche eine historische Zukunftsperspektive. Leider wird dieses Buch nicht in Israel verlegt.

    Vielleicht kannst Du mal ein Interview mit Lizzie Doron führen -

    würde mich freuen - Schöne Grüße

    aus Südbaden , Peter

  • 8G
    81622 (Profil gelöscht)

    Die Moderatorin wagte es wieder nicht, das Thema anzusprechen, das über dem angebl. „islamischen Antisemitismus“ schwebt, nämlich, dass eine politische Israelkritik (z.B. Verbrennen der israelischen Fahne durch Palestinenser) speziell in Deutschland reflexartig mit Antisemitismus geleichgesetzt wird.. Der ehemalige israelische Botschafter Stein hat in einem Gastbeitrag der Frankfurter Rundschau diese Differenzierung angemahnt und hat dabei den billigen Versuch der AFD kritisiert, die Hauptschuld des Antisemitismus auf die muslimische Bevölkerung in Deutschland abzuwälzen. Er wendet sich zudem deutlich gegen die Schaffung eines Antisemitismus-Beauftragten, da Antisemitismus nur eine Form des Rassismus ist. Nur durch "Aufklärung auf allen Ebenen für alle Menschen gegen Rassismus, in der Schule wie auch in den Integrationskursen", werde "auch der Rahmen für eine aufrichtige Antisemitismus-Bekämpfung abgesteckt". Zudem kritisiert er den "Mythos von der judeo-christlichen Allianz"...,die "..quasi automatisch Muslime als Vertreter einer Gegenkultur, zu der auch der Antisemitismus gehört, darstellt“. Dieses islamophobe und rassistische Bild findet sich vor allem in osteuropäischen Ländern.

    • @81622 (Profil gelöscht):

      Habe ich genau diesen Post nicht schon unter einem anderen Artikel gelesen?

  • Vor allem das was in der Vergangenheit zu erkennen, was vor dieser bis in unsere Gegenwart Wirkung entfaltet, nämlich dass der Antisemitismus jenen, die mit der Kultur der Straflosigkeit locken, denen der Antisemitismus als das Meer gilt, in dem sie mit ihren dunklen Umtrieben wie die Robben, das Wasser bis zum Hals, obenauf unbehelligt zu schwimmen gedenken. 1932-1945 war es die NSDAP die Großagrariern, Bauern, die wg millionenfachen Subventionsbetrug in Sachen Osthilfe der Reichskanzler Heinrich Brüning Regierung, mit dem Ziel überschuldete Höfe reichsweit zu entschulden, in Machenschaften wie Vortäuschung von Überschuldung verwickelt waren, unter ihnen Sohn Reichspräsident Paul von Hindenburgs, Oskar von H. Heute ist es die AfD unvergleichbar mit der NSDAP so doch mit deren Methode vertraut, Mitglieder, Spendengelder durch Aussicht auf Straflosigkeit einzuwerben. Arbeitgebern bei 2 7 Millionen Arbeitnehmern, die ungesetzlich unter Mindestlohn bezahlt werden, im Fall ihrer "Machtübernahme" Straflosigkeit zu garantieren, Manager von VW, Daimler, BMW, Bosch in Sachen Dieselabgasgate, Auftrag ihres Lobbyvereins "Kaiserwetter" an Forschungsinstitut durch Abgasversuche an Menschen, Affen den Anschein der Ungefährlichkeit von Abgas Stickoxiden zu demonstrieren, von Ermittlungen aller Art freizustellen u. a. Subventionsbetrug wg zweckentfremdeter Verwendung von Steuermitteln

    Bundespräsident Roman Herzog erklärt 1997 in Kenntnis der Geschichte 27.1. jeden Jahres zum Holocaust Gedenktag der Befreiung des KZ Auschwitz durch Rote Armee. Als Schlussfolgerung aus der Geschichte, sich gegen die Kultur Straflosigkeit auszusprechen, die sich mit dem Holocaust verbindet, sah sich Herzog außerstande, dazu außerstande, nach Auschwitz einer Entschädigungsökonomie, Ausgleichskultur das Wort zu reden, Entschädigung für Holocaust Überlebende zu fordern, war von ihm so wenig wie von Vorgänger Richard von Weizsäcker noch Nachfolger Johannes Rau, Horst Köhler, Joachim Gauck zu vernehmen.

  • Hier die Empfehlung mal zu schauen, was die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus macht: viel Jugendpädagogische Arbeit

    //kiga-berlin.org/ - und keineswegs auf Linie des Zentralrats der Juden.

    und das Buch "Erinnerungen" von Esther Bejarano. Sehr schön.

    außerdem notwendig die Initiative Keupstraße

    keupstrasse-ist-ueberall.de

  • Der Kommentar suggeriert, dass es einer besonderen historischen Erfahrung oder Vorgeschichte bedarf, um Menschen wegen irgendeiner tatsächlichen oder vermeintlichen Herkunft nicht auszugrenzen oder zu attackieren. Diese Logik entschuldigt die "Schlussstrichzieher" und Migranten mit Antisemitismus. Rassismus ist aber einfach inhuman und vor jedem biografischen Hintergrund zu verurteilen.

  • Naja ich finde das Frau Chebli hier stark relativiert hat, die 90% der Taten gegen Juden die angeblich von rechtsextremen kämen summieren sich daher , dass alle unaufgeklärten Straftaten gegen Kufen einfach in der Statistik als rechtsextrem gerechnet werden und das macht den größten Teil aus . Das verzerrt das Bild stark und ist meiner Meinung nach nicht objektiv .

    Eine Studie der Frankfurt University of Applied Sciences über „Jüdische Perspektiven in Deutschland“ kommt zu einem ganz anderen Ergebnis:

    82% der tätlichen und 63% der verbalen Übergriffe gegen Juden wurden 2016 von Muslimen verübt.

    Ich als Jüdin und Nachfahre jüdischer deutscher fühle mich beleidigt von Frau cheblis Relativierung und ubfähigkeit Probleme anzusprechen .

  • Ich habe großen Respekt vor Frau Esther Bejarano. Für mich war ihre Mahnung, dass der Rassismus nicht minder verachtenswert ist, als der Antisemitismus und anders herrum, das Entscheidende.

    Was aber nicht geht, dass man Israel-Kritiker die den brutalsten Rassismus, nämlich den faktischen Apartheitsstaat Israel kritisieren, als Linke Spinner bzw. Linke Antisemiten versucht abzustempeln.

    Und was die neu Zugewanderten bzw. unsere islamischen Mitbürger betrifft, muss berücksichtigt werden, dass diese oft eine andere Perspektive auf die Verbrechen des Holocaust haben, als die deutschstämmigen Bürger. Auch deswegen, weil deren Informationsquellen (Medien usw.) ganz andere sind als die der überwiegenden Bevölkerung. Das zum Beispiel in türkischen Nachrichtensendern gang und gäbe ist, das Israel als Terrorstaat bezeichnet wird, wäre im deutschen TV unmöglich.

    Hier muss eine Aufklärung erfolgen, weshalb Israel kein Terrorstaat ist und hier zeigt sich erst, wie schwierig die Aufgabe ist die zu lösen ist.