Anklage zu Leichenfund in Großbritannien: Totschlag in 39 Fällen
Der Lkw-Fahrer, in dessen Container 39 Leichen entdeckt wurden, tritt per Video vor den Haftrichter. Die Anklage: Totschlag und Menschenhandel.
Am unteren Rand sitzt ein junger Mann mit Vollbart. Er trägt ein einfaches graues Sweatshirt. Er blickt müde, ernst und betrübt in die Kamera. „Können Sie mich hören?“, so die Frage einer gerichtlich Beauftragten in das Mikrofon des Amtsgerichts der Stadt Chelmsford östlich von London.
Maurice Robinson, 25, der Mann auf dem Bildschirm, bestätigt mit starkem nordirischen Akzent seinen Namen, seinen nordirischen Wohnort und sein Geburtsdatum. Er ist der erste Angeklagte im Fall des Lkw-Containers, in dem am vergangenen Mittwochmorgen 39 tote Migrant*innen in einem Industriepark von Grays entdeckt wurden.
Robinson soll den Lkw gefahren haben, in dem die Toten entdeckt wurden. Vier andere Personen wurden inzwischen festgenommen. Nach wie vor wird in Großbritannien und Belgien nach weiteren Personen gesucht.
Keines der Opfer ist offiziell identifiziert
Derweil läuft die größte gleichzeitige Identifizierung von Opfern einer Straftat in der Geschichte der britischen Polizei. Keiner der Namen der im Container entdeckten Toten konnte bisher offiziell bestätigt werden, auch wenn in den Medien bereits verschiedene Namen und Nationalitäten kursieren.
Darüber hinaus müssten insgesamt über 500 Gegenstände überprüft und die Daten auf den Handys der Verstorbenen ausgewertet werden, berichtete die zuständige leitende Polizeibehörde der Grafschaft Essex.
Warum Robinson nur per Videolink erscheint, ist nicht bekannt. Stattdessen weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass Robinson nicht „nur“ wegen der 39 Fälle von Totschlag vor dem Amtsgericht erscheine, sondern auch wegen Verschwörung zum Bruch der Einwanderungsgesetze sowie illegaler Bereicherung und Geldwäsche.
Eine Haftentlassung Robinsons auf Kaution lehnt die Staatsanwaltschaft wegen Fluchtgefahr ab. Der Amtsrichter reicht den Fall weiter. Er geht nun aufgrund der besonderen Schwere an ein Geschworenengericht, mit dem 25. November als provisorischem Verhandlungsbeginn. Bis dahin muss sich Robinson nicht äußern.
Es wird angenommen, dass der Fall an die Old Bailey geht, Englands zentrales Strafgericht. Nach weniger als 15 Minuten ist die Anhörung beendet. Das Medieninteresse ist groß. Im Gerichtssaal drängeln sich über 30 Journalist*innen, vor dem Gericht stehen mindestens ein Dutzend Fernsehkameras.
Im Hafengebiet von Grays besuchen am gleichen Morgen Premierminister Boris Johnson und Innenministerin Preti Patel die Notdienste, die am Mittwoch als erste zum Container mit den Toten eilten. Man werde die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen, schreiben sie in das Kondolenzbuch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern