Anklage gegen Kosovos Präsidenten: Elite im Abseits
Das Sondergericht in Den Haag erhebt Anklage wegen Kriegsverbrechen gegen den amtierenden Präsidenten des Kosovo. Das wurde auch Zeit.
A usgerechnet am Mittwoch, drei Tage vor seinem „historischen Auftritt“ in Washington, erhob das 2015 gegründete in Den Haag tagende Sondergericht in Kosovo die Anklage wegen Kriegsverbrechen gegen den amtierenden Präsidenten Kosovos, Hashim Thaçi. Die Anklage gegen Thaçi und neun seiner Mitstreiter stellt darüber hinaus die seit 1999 herrschende kosovoalbanische Elite, die über Jahrzehnte das Land kontrolliert hat, ins politische Abseits.
Dabei waren die Weichen anders gestellt: der einstige politische Führer der Kosova-Befreiungsarmee UÇK, der mit seinem Kampf mit Hilfe der Nato die serbische Herrschaft im Kosovo 1999 beendet und das Land 2008 in die Unabhängigkeit geführt hat, sollte nach dem Willen des US-Unterhändlers Richard Grenell in Washington gemeinsam mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić ein historisches Abkommen zwischen beiden Staaten schließen. Serbien sollte nach einem Gebietsaustausch Kosovo diplomatisch anerkennen und damit im Gegenzug den Weg in das Europa der EU geebnet bekommen.
Doch daraus wird jetzt wohl nichts. Für die Trump-Administration bedeutet dieser Vorgang eine herbe Niederlage, auch wenn jetzt der erst vor vier Wochen installierte Ministerpräsident Avdullah Hoti nach Washington reisen soll. Doch der hat nicht das Gewicht, auf Augenhöhe mit dem gerade bei Wahlen siegreichen serbischen Präsidenten Vučić zu verhandeln. Zumal die Europäer und vor allem die Deutschen ohnehin gegen die Idee des Abkommens sind, weil Grenzänderungen auf dem westlichen Balkan und anderswo zu neuen Konflikten führen würden.
Innenpolitisch werden in Kosovo jetzt die Karten neu gemischt. Der kürzlich auf Druck der Amerikaner als Ministerpräsident gestürzte Albin Kurti fordert jetzt vehement und mit Recht Neuwahlen, um endlich eine tiefgreifende Reformpolitik durchsetzen zu können. Für die Opfer der Verbrechen ist die Anklageerhebung erst einmal eine Genugtuung, denn viele Zeugen wurden sogar noch vor Kurzem bedroht und unter Druck gesetzt. Diesen Umstand hat jetzt das Sondergericht bei der Verlesung der Anklage ausdrücklich hervorgehoben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen