piwik no script img

Anklage gegen Ex-MinisterScheuer bekommt eine gescheuert

Die Berliner Staatsanwaltschaft beschuldigt den CSU-Politiker, im Untersuchungsausschuss zur Ausländer-Maut „bewusst falsch ausgesagt“ zu haben.

Andreas Scheuer (CSU) kommt als Zeuge zum Maut-Ausschuss des Bundestags, Berlin, am 1.10.2020 Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Der Skandal um seine gescheiterte Ausländer-Maut holt den früheren Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ein: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat am Mittwoch Klage gegen den CSU-Politiker erhoben. Er soll vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Maut bewusst eine Falschaussage getätigt haben, heißt es in einer Mitteilung des Landgerichts Berlin. Die Anklage richtet sich auch gegen den damaligen Staatssekretär Gerhard Schulz.

Auf eine taz-Anfrage reagierte Scheuer bis Redaktionsschluss nicht. In der Bild-Zeitung hingegen erhob er Vorwürfe: „Die Motive und der Zeitpunkt für die Anklage sind mir unverständlich und erscheinen mehr politisch motiviert“, so der ehemalige Minister. „Nach einer so langen Zeit der Untersuchung nutzt der Staatsanwalt genau das sogenannte mediale ‚Sommerloch‘ für die Anklageerhebung.“

Scheuer war von 2018 bis 2021 Verkehrsminister unter Angela Merkel gewesen. Er wollte das lang gehegte CSU-Vorhaben einer Pkw-Maut für Aus­län­de­r*in­nen auf deutschen Autobahnen umsetzen. Deutsche Au­to­fah­re­r*in­nen hätten dabei zwar auch für die Nutzung der Autobahnen zahlen müssen, sollten aber über einen Nachlass bei der Kfz-Steuer entlastet werden. Praktisch hätte die Maut also nur diejenigen getroffen, deren Autos nicht in Deutschland zugelassen sind.

Sie sollte als Flatrate funktionieren. Nach der jährlichen Zahlung einer Pauschale hätten Au­to­fah­re­r*in­nen beliebig viel fahren dürfen. Um­welt­schüt­ze­r*in­nen kritisierten das als Anreiz, das auch auszukosten. Andere Länder kassieren streckenabhängige Beträge.

Bei einer Verurteilung, droht Scheuer Gefängnis

Ausschlaggebend für das Scheitern des Projekts war aber die Diskriminierung von Ausländer*innen. Der Europäische Gerichtshof urteilte 2019, die Pläne seien rechtswidrig. Nur hatte Scheuer zu diesem Zeitpunkt bereits Verträge mit einem Konsortium über den Betrieb des Mautsystems abgeschlossen. Dieses versuchte nach dem Scheitern der Pläne, Schadensersatzansprüche in Höhe von 560 Millionen Euro geltend zu machen. Nach einem Schiedsverfahren musste der Bund 243 Millionen Euro zahlen.

Das teure Debakel war ab 2020 Gegenstand eines Untersuchungsausschusses im Bundestag. Die beauftragten Unternehmen gaben dort an, sogar angeboten zu haben, den Vertragsabschluss auf einen Zeitpunkt nach dem zu erwartenden Gerichtsurteil zu verschieben – doch Scheuer habe das ausgeschlagen. Er selbst sagte aus, nach seiner Erinnerung habe es kein solches Angebot gegeben. Das sehen die Staats­an­wäl­t*in­nen anders. Die Angeschuldigten sollen „entgegen ihrer tatsächlichen Erinnerung“ ausgesagt haben, heißt es in der Mitteilung des Gerichts. Laut Anklage solle es sich dabei um „bewusste Falschaussagen“ handeln.

Sollte Scheuer verurteilt werden, droht ihm Gefängnis: Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle als Zeuge oder Sachverständiger uneidlich falsch aussagt, wird laut Strafgesetzbuch mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Politisch hatte der Skandal kaum Auswirkungen auf Scheuer. Der Untersuchungsausschuss hielt es mit der Regierungsmehrheit von Union und SPD nicht für erwiesen, dass Scheuer das Haushalts- und Vergaberecht gebrochen und im Bundestag gelogen hatte. FDP, Linkspartei und Grüne sahen das anders.

2024 zog sich Scheuer aus der Politik zurück

Der umstrittene Politiker blieb so in seinem Amt als Verkehrsminister. Den Bundestag verließ Scheuer zum 1. April 2024 – um die politische gegen eine wirtschaftliche Karriere einzutauschen. Einzig auf kommunaler Ebene gab es indirekt Folgen des Mautdesasters: Im vergangenen Oktober legte Scheuer sein Amt als Passauer Stadtrat nieder. Andere Stadträte hatten Scheuers Eignung für den Sitz im Rechnungsprüfungsausschuss angezweifelt.

In den sozialen Medien erklärte Scheuer dazu, es handele sich um „ein abgekartetes Spiel von einem Stadtrat der Grünen und einem fraktionslosen Neustadtrat“, das auch von Medien unterstützt worden sei.

Schon kurz vor seinem Abschied aus dem Bundestag hatte Scheuer zwei Unternehmen gegründet. Die Positanis Holding verwaltet laut Website Business Insider sein Privatvermögen. Die zweite Firma namens Tancredis ist laut Lobbyregister des Bundestags ein Beratungsunternehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare