: Angst vor der Sekte mit dubioser Mission
In Kenia breitet sich die „Mungiki“-Bewegung aus, die afrikanische Traditionen predigt. Ihr Treiben nützt der Regierung
NAIROBI taz ■ Vor wenigen Jahren noch hielten die Kenianer sie für Vollidioten, heute schaudern sie beim Erwähnen des Namens. Die Rede ist von „Mungiki“, die wahrscheinlich größte einer Reihe merkwürdiger Sekten, die in Kenia eine Rückkehr zu angeblich traditionellen afrikanischen Werten fordern.
„Mungiki“ heißt „Masse“ und hat nach eigenen Angaben eine halbe Million Mitglieder – vor allem arbeitslose junge Leute und Straßenkinder des Kikuyu-Volkes, größte Ethnie Kenias und traditionell zur Regierung eher kritisch eingestellt. Die Sekte betet den Kikuyu-Gott Ngai an, der auf dem höchsten Berg Kenias residiert. Rauchen und trinken ist ihren Mitgliedern verboten. Polygamie und Beschneidung werden hingegen propagiert. Ein beträchtlicher Teil der Mitgliedschaft von Mungiki sind Frauen. Die Sekte hält aber nichts von der modernen Frauenmode: Letztes Jahr entkleideten männliche Mitglieder von Mungiki in Kenias Hauptstadt Nairobi drei Passantinnen auf offener Straße, weil sie lange Hosen trugen.
Die Gruppe will nicht nur zu alten Traditionen zurück. Sie sieht sich als revolutionäre Bewegung und identifiziert sich auch mit den Mau-Mau, einer Kikuyu-Widerstandsbewegung aus der Schlussphase der britischen Kolonialherrschaft in den 50er-Jahren. „Wir setzen ihren Kampf fort“, erklärt Mungikis nationaler Koordinator Ndura Waruingi. „Wir werden noch immer von Briten und Amerikanern kolonisiert. Im Geiste sind wir Sklaven.“ Der 29-Jährige meint weiter: „Politik und Wirtschaft müssen geändert werden. Junge Politiker sind die Lösung. Sie müssen an die Macht, egal zu welcher Partei sie gehören.“
Solche Worte müssen Kenias Präsident Daniel arap Moi Freude machen. Im Anlauf zu den Wahlen, die später in diesem Jahr stattfinden sollen, wechselt der seit über zwanzig Jahren regierende Staatschef mehr und mehr Veteranen innerhalb des Kabinetts und der Regierungspartei gegen junge Politiker aus. Die Eintracht zwischen Mungiki und dem greisen Moi, der nach Kenias Verfassung dieses Mal nicht mehr kandidieren darf, ist bemerkenswert. Die Kikuyu gehören nämlich überwiegend zur Opposition. Der Sekte wird denn auch vorgeworfen, ein Werkzeug der Regierungspartei Kanu (Kenianisch-Afrikanische Nationalunion) zur Unterwanderung der Kikuyu zu sein.
Wenn das stimmt, dient Mungiki vor allem dazu, die Kikuyu unbeliebt zu machen. Im März wurden Mitglieder der Gruppe des Mordes an 21 Einwohnern des Armenviertel Kariobangi in Nairobi beschuldigt. Die Opfer wurden zum Teil enthauptet und kastriert. Augenzeugen erklärten, dass 200 Mungiki-Aktivisten, bewaffnet mit Messern und Äxten, jeden auf der Straße angegriffen hätten, der einen Kikuyu-Gruß nicht beantwortet habe. Es sollte sich um eine Vergeltungsaktion handeln: Die lokale Bürgerwehr von Kariobangi mit dem schönen Namen „Taliban“ habe zuvor zwei Mitglieder von Mungiki umgebracht.
Ndura Waruingi bestreitet dies: „Die Täter waren Polizisten die sich als Mungiki ausgaben“, sagt der Mungiki-Chef. „Sie fürchten sich vor uns und versuchen, die Bewegung auf diese Weise kaputt zu machen.“
Nach dem Blutbad wurde Mungiki zusammen mit 17 anderen Gruppen verboten. Leiter der Sekte und auch der Bürgerwehr „Taliban“ verschwanden im Gefängnis. Die Anführer der Sekte waren nach ein paar Tagen wieder frei, aber die Leitung der Bürgerwehr sitzt noch immer ein. Gruppen wie „Taliban“ schießen in Kenia aus dem Boden, als Selbsthilfe gegen die zunehmende Kriminalitätt. Kenias unterbezahlte Polizisten sind oft zu sehr mit der Einnahme von Schmiergeldern beschäftigt, als dass sie Verbrechensmeldungen nachgehen würden.
Trotz des Verdachts der politischen Manipulation sollten Gruppen wie Mungiki ernst genommen werden, meint Grace Nyatugah Wamue, Dozentin an der Fakultät für Religion an der Universität von Nairobi. „Religion und Unmut fungieren als bindender Faktor zwischen Menschen. Aus passivem Widerstand kann eine Rebellion mit Blutvergießen werden.“ ILONA EVELEENS
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