Angst vor der PKK: Brandanschläge auf Türken befürchtet
Sicherheitsexperten warnen vor PKK-Gewalt in Deutschland. Die Behörden hätten zu lange weggeschaut, kritisiert der Grünen-Politiker Özdemir.
BERLIN taz Wenn an diesem Mittwoch im Hochsicherheitssaal des Berliner Landgerichts der Prozess gegen Muharrem A. beginnt, wird ein Stück dunkle deutsche Vergangenheit Gegenwart. Der 58-Jährige soll als bayerischer Regionsleiter der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die heute Kongra Gel heißt, in den Neunzigerjahren Brandanschläge auf Polizeistationen in Süddeutschland befohlen haben.
Politiker, Verbände und Sicherheitsbehörden fürchten nun, dass die Gewalt zurückkehrt. Sollte die Türkei in den Norden Iraks einmarschieren, um gegen PKK-Rebellen vorzugehen, könne es zu Brandanschlägen gegen türkische Einrichtungen in Deutschland kommen, hieß es am Dienstag in Sicherheitskreisen. Besonders aufgefallen ist den Behörden die Jugendorganisation der Kongra Gel namens Komalen Ciwan. Sie soll in den letzten Tagen ihre Anhänger aufgefordert haben,sie mögen endlich "Aktivität zeigen."
Dahinter kann sich nach Auffassung von Experten vieles verbergen. Klassische Terroranschläge seien kaum zu erwarten. Doch sogenannte Hit-and-run-Aktionen - also das Werfen eines Brandsatzes und darauf folgendes schnelles Verschwinden - seien früher schon von kurdischen Aktivisten verübt worden. Die Behörden sehen in der Komalen Ciwan auch deshalb eine Gefahr, weil Jugendorganisationen dazu tendieren, sich nicht an Stillhaltebefehle ihrer Mutterparteien zu halten. Seit der Verhaftung ihres Gründers Abdullah Öcalan im Jahr 1999 führt die PKK eine Doppelstrategie: Weitgehender Gewaltverzicht in Europa, Anschläge in der Grenzregion Türkei-Nordirak. Ihren neuen Namen Kongra Gel trägt sie seit 2003, sie zählt in Deutschland rund 11.500 Anhänger. Bei Massenveranstaltungen könnte sie nach Schätzungen von Sicherheitsexperten etwa 40.000 Menschen mobilisieren.
"Die PKK ist keine Pfadfindertruppe", sagte der grüne Europaabgeordnete Cem Özdemir der taz. "Das ist eine Terrororganisation." Die Behörden in Deutschland hätten zu lange weggeschaut, dabei agitiere und rekrutiere die PKK nach wie vor - und das, obwohl die Organisation seit 1993 verboten ist. "Was ist ein Verbot dann wert?", kritisierte Özdemir.
Eskalierend haben auch die Übergriffe von türkischen Ultranationalisten auf Kurden am Wochenende gewirkt. In Berlin gingen Sympathisanten der rechtsextremen Grauen Wölfe und gewaltbereite Jugendliche auf Kurden los. Auch in Heilbronn, Dortmund und Mülheim kam es zu Zusammenstößen zwischen Türken und Kurden. In Sicherheitskreisen warnt man allerdings davor, zu glauben, die türkische Seite werden von den Grauen Wölfen und die kurdische von der PKK dominiert. Eine solche Vorherrschaft der beiden Organisationen im gegenwärtigen Konflikt lasse sich nicht bestätigen. Die Grauen Wölfe seien ebenso wie Kongra Gel in den letzten Jahren eher wenig in Erscheinung getreten - bisher.
WOLF SCHMIDT, DANIEL SCHULZ
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“