Angst vor dem Islam: „Ich verteidige, was ich spiele“
Edgar Selge spielt Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ als Monolog. Dass der Westen gegenüber dem Islam in die Defensive gerät, hält er für realistisch.
taz: Herr Selge, wie kam es dazu, dass Sie in der Adaption von Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ am Schauspielhaus zu sehen sind?
Edgar Selge: Vergangenes Jahr fragte mich Karin Beier, ob ich Lust hätte, „Unterwerfung“ als Monolog zu machen, und ich glaube, ich habe selten etwas so schnell zugesagt.
Und, haben Sie es bereut?
Nein, natürlich nicht. Houellebecq ist ein Autor, der mir seit „Ausweitung der Kampfzone“ lieb ist. Ich muss sagen, es betrifft alle seine Bücher, insbesondere „Karte und Gebiet“. Und natürlich auch diesen Roman „Unterwerfung“, der durch die politischen Ereignisse zunehmend greller und gespenstischer geworden ist.
Der Protagonist Franç ois ist eher ein Unsympath, ein Antiheld. Wie wichtig ist es für Sie, eine Figur, die Sie verkörpern, auch zu verteidigen?
Ich denke zwar nicht in Figuren, sondern in Situationen. Aber natürlich verteidige ich das, was ich spiele.
Also spielen Sympathie oder Antipathie für eine Figur keine Rolle für Sie?
Nein. Dieser Autor provoziert mit einer Art inneren Verwahrlosung, erschreckend und lustvoll zugleich und lädt uns ein, daran teilzunehmen. Das finde ich übrigens nicht unsympathisch. Karin Beier und ich versuchen, daraus vor allem einen persönlichen, lebendigen Theaterabend zu machen.
67, studierte nach dem Abitur zunächst Klavier, dann Philosophie und Germanistik und besuchte die Schauspielschule in München. Viele Jahre war er Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen. In der Fernsehserie „Polizeiruf 110“ spielt er einen einarmigen Kommissar.
Was zeichnet für Sie den Text aus?
Der Provokateur ist vielleicht der Hauptstrang, den ich suche. Houellebecq bezeichnete in einem Interview mit Lire den Islam als „gefährliche Religion“.
Wie ist Ihre Haltung zum Islam?
Ich nehme das wahr: dass es sich beim Islam um eine Religion handelt, die in sich noch sehr viel konsistenter erscheint als das durch die Aufklärung aufgeweichte Christentum. Und dementsprechend denunziert Houellebecq in diesem Buch das lasche Verhältnis der Westeuropäer zu ihrer Kultur. Mich persönlich provoziert der Islam allerdings dazu, den Zusammenhang zwischen Christentum und Aufklärung positiv zu sehen. Denn natürlich ist Christus die Figur, die zum Humanismus und letzten Endes zu den Menschenrechten geführt hat. Und wenn man das als Fortschritt betrachtet, dann kann man auch zum Christentum wieder ein vitales Verhältnis entwickeln. Das ist ja die Provokation, die dieses Buch darstellt: dass Houellebecq die Gretchen-Frage stellt: Wie halten wir es mit unserer eigenen Kultur. Das ist der zentrale Punkt, die Frage, die dieses Buch und auch der Theaterabend stellen.
Und, wie halten Sie es denn mit der Religion?
Ich könnte mit Faust antworten „Mein Liebchen, wer darf sagen: Ich glaub’ an Gott? Magst Priester oder Weise fragen/ Und ihre Antwort scheint nur Spott“, aber das mache ich jetzt nicht, ich will mich hier nicht aus der Affäre ziehen. Ich bin religiös aufgewachsen in seinem sehr protestantischen Elternhaus, mit viel Bibeltextkontakt. Diesen Kulturkreis, dieses religiöse Grundbedürfnis, mit dem ich aufgewachsen bin, das kann ich doch gar nicht ablegen. Und will es auch gar nicht. Ich bin wahrscheinlich wie alle Agnostiker im Westen an diesem Punkt ein bisschen lauwarm.
Tatsächlich sehen viele Menschen im Islam eine Bedrohung – Sie auch?
Ich finde es richtig, Menschen, die keine Möglichkeit haben, ihr Leben zu schützen, bei uns aufzunehmen. Aber ich habe natürlich Angst vorm radikalen Islam, etwa vorm Wahabismus. Das ist reinstes Mittelalter. Und dass dieses Mittelalter letzten Endes der Nährboden für den Terrorismus ist, kann ich mir gut vorstellen. Davor habe ich Sorge. Wir alle müssen etwas dafür tun, dass in diesem Land nur ein aufgeklärter Islam Platz hat. Angesichts der Flüchtlingszahlen in unserem Land denke ich vor allem, dass wir viel mehr Geld für Integration und Bildung ausgeben müssen und uns finanziell auch viel mehr um die bildungsferneren Gruppen unserer eigenen Bevölkerung kümmern müssen.
Für wie realistisch halten Sie das Szenario, dass Houllebecq schildert: dass die westliche Welt ideologisch in der Defensive ist?
Für ganz schön realistisch. Zumindest was die Unsicherheit der bürgerlichen Mitte, zu der ich mich auch zähle, betrifft. Unsicher wird diese bürgerliche Mitte dadurch, dass die Stimmen am Rand so populistisch laut werden und eben einfache Lösungen fordern. Und da steht man in der bürgerlichen Mitte und kann nicht mithalten mit seiner Stimme, weil man diese einfachen Sätze nicht parat hat, sondern immer so „Ja, aber“-artig argumentiert. Wie ich hier auch.
Irans Präsident Hassan Rohani wurde in Rom jüngst besonders vorsichtig empfangen: Bei seinem Besuch wurden mehrere nackte Statuen aus Respekt vor seinem Glauben auf dem Kapitol verhüllt.
Das war nicht geschickt. Man hätte ihn einfach woanders entlangführen sollen, anstatt die Venus zu verhüllen. Das ist ein schamvoller Selbstbegrenzungsgestus, der nicht gut ist. So klein muss man sich nicht machen. Auf der anderen Seite muss man Rohani auch nicht provozieren. Dass man keinen Wein serviert, das wiederum kann ich mir vorstellen. Warum sollte man dem Gast nicht ein Essen servieren, das auf ihn abgestimmt ist?
Respekt ist also eine Gratwanderung.
Ja natürlich, aber menschliche Beziehungen und Umgang miteinander sind immer eine Gratwanderung.
Im Augenblick wird viel diskutiert, wie sehr das Theater zum politischen Ort werden darf oder sogar muss. Würden Sie Theaterarbeit als „politische Arbeit“ auffassen und sich selbst als „politischen Schauspieler“ beschreiben?
Ja. Ich habe Theater in den Münchner Kammerspielen gelernt, zwischen 1975 und 1995, da war immer klar, dass es weder in der Gesellschaft noch im Theater etwas gibt, das nicht politisch ist. Wenn man einen Text nimmt und ein Stück erzählt, ob es ein Goethe ist oder ein Shakespeare oder ein Lessing oder ein Houellebecq, dann macht man das und sucht das danach aus, ob es einen vitalen Bezug zu ganz konkreten Fragen gibt, die auch gesellschaftlich relevant sind. Theater machen als Eskapismus, zur Ablenkung – ich will das gar nicht verachten – das war nie mein Ding.
Premiere: Samstag 6.2., 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus, Hamburg
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