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Angst vor dem GirokontoDie freundliche Bänkerin und der innere Strauß

Ein unerwarteter Anruf im Zug lässt unseren Kolumnisten über seine Angst vor seinem Bankkonto nachdenken. Doch damit scheint er nicht allein zu sein.

Kontostand gucken? Lieber nicht Foto: Andrey Kuzmin/imago

L etztens sitze ich im Zug und eine unbekannte Nummer ruft mich an. Natürlich überlege ich in einem deutschen Zug zweimal, ob ich ans Telefon gehe. Ich vergewissere mich kurz, dass ich nicht im Ruheabteil sitze und gehe auf volles Risiko.

Eine freundliche Frauenstimme begrüßt mich mit akkurater Aussprache meines Nachnamens, womit sie mich quasi schon gewonnen hat, ganz egal, was sie von mir will. Meine Gesprächspartnerin stellt sich als Mitarbeiterin meiner Bank vor und informiert mich darüber, dass ich mich derzeit im Minus befinde, dass das aber überhaupt kein Problem sei und sie mir einen Kredit anbieten könne, natürlich zu hervorragenden Konditionen, damit ich gut durch diese schwierige Zeit komme.

Kurz freue ich mich über das selbstlose Angebot. Dann überkommen mich Zweifel: Was, wenn ich gar nicht im Dispo bin? Was, wenn die Betrüger, die mir immerzu per SMS versichern, dass sie meine Kinder seien und sich in Not befänden, jetzt dazu übergegangen sind, mich anzurufen? Und wie kann es eigentlich sein, dass diese offenbar nicht türkeistämmige Person meinen Nachnamen korrekt ausspricht? Einfach so!? Also fange ich an, Gegenfragen zu stellen: Woher haben Sie meine Nummer? Wie weit befinde ich mich denn im Minus? Und warum soll ich Ihnen vertrauen?

„Aber Sie müssen doch wissen, wie Ihr Kontostand ist?“, antwortet die Frau darauf nur, jetzt in einem genervten Ton, was sie dann doch wieder authentisch erscheinen lässt. „Wieso muss ich das denn wissen? Ich kenne meinen Kontostand doch nicht auswendig“, antworte ich mit voller Schlagkraft. Das Setting unseres Gesprächs, eine Zugfahrt im ICE von Hamburg nach Berlin, muss ich da kurz vergessen haben, denn ein Mitpassagier muss mich freundlich ermahnen, nicht so laut zu telefonieren. Weil das Gespräch nicht zu retten ist, lege ich auf. Doch das Ende des aufreibenden Telefonats bildet den Beginn einer ehrlichen Auseinandersetzung.

Kopf in den Sand statt Blick aufs Konto

Denn die Frau hat einen wunden Punkt getroffen: Ich habe Angst vor meinem Kontostand. „Viele Menschen meiden es, auf ihr Konto zu schauen. Statt sich der befürchteten schlechten Nachrichten zu stellen, putzen sie lieber ihr Badezimmer“, lese ich dazu etwa in der Pharmazeutischen Zeitung. Ich bin erleichtert darüber, dass das sogar einen Namen hat, worunter ich leide: „Straußeneffekt“ nennen es die Verhaltensökonomen.

Lieber den Kopf in den Sand stecken, statt sich unangenehmen Zahlen auf dem eigenen Bankkonto auszusetzen. Mein Leben als Strauß hat mich früher immer wieder in Schwierigkeiten gebracht. Die Angst war damals auch berechtigter. Seitdem ich ein regelmäßiges Gehalt beziehe, halten sich böse Überraschungen in Grenzen.

Die Angst ist geblieben. Während andere notorische Kontostandsvermeider offenbar zu impulsiven Käufen neigen und damit alles nur noch schlimmer machen, profitiere ich aber auch von meinem kulturellen Hintergrund: Als schwäbisch sozialisierter Mensch lebe ich sparsamer, wenn ich mich latent im Notstand wähne, im gewählten Unwissen das Schlimmste befürchte.

Manchmal kommt es trotzdem zu Überraschungen: Die freundliche Frau von der Bank wollte wirklich helfen, ich hatte mein Konto tatsächlich überzogen. Bis ich das herausfand, ist eine Weile vergangen. Dafür durfte ich mich einmal mehr über ein blitzeblankes, strahlend glänzendes Bad freuen.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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