Angst im Knast: Gefährlicher Genuss
Die Zeiten von Wasser und Brot sind auch im Bremer Gefängnis längst vorbei: Weil in Oslebshausen Shrimps auf dem Speiseplan stehen, fürchtet ein Häftling um sein Leben.
Stephan R. hat Angst, im Knast zu sterben. Dabei verbüßt der Einbrecher gar keine so lange Strafe. Doch 2008 wäre er in der Justizvollzugsanstalt Oldenburg beinahe umgekommen. Ein plötzlicher Schweißausbruch, dann Atemnot. Gerade noch rechtzeitig alarmierte er einen Aufseher. Dann fiel er ins Koma. Er musste künstlich beatmet werden. Als Stephan R. nach zwei Tagen ins Leben zurückkehrte, erfuhr er, dass er gegen Krebstiere allergisch ist. Ein paar Shrimps in einer Suppe hatten den Schock ausgelöst, der ihm fast zum Verhängnis geworden wäre.
In Oldenburg sind seit dem Vorfall die Meeresfrüchte als Gefängnisessen gestrichen. Doch dann wurde R. verlegt, nach Oslebshausen. Seit zwei Jahren streitet dort der 41-Jährige dafür, dass in seiner Vollzugsgruppe keine Krebstiere für den Verzehr verteilt werden. Denn in Bremen will der Anstaltsleiter Carsten Bauer die Shrimps auf dem Speiseplan belassen. Sie seien "sehr beliebt", behauptet er.
Ja, im Gefängnis gibt es Shrimps. "Etwa 20mal im Jahr", sagt R., "manchmal drei Tage hintereinander". Die Anstalt kennt seine Allergie. Er selbst bekommt an diesen Tagen etwas anderes, Kartoffel- oder Eiersalat. Auf deren Verpackungen stünden mitunter Warnungen, dass dieselbe Fabrik auch Krebstiere verarbeitet. Stephan R. lässt dann die Finger davon. Ein Notfallset hat er immer dabei, Tabletten und eine Adrenalinspritze. Aber seine Angst bleibt. Mit etwa 30 Gefangenen lebt er in seiner Vollzugsgruppe auf begrenztem Raum. Dass sich an Geländern oder Türklinken Spuren des Essens verteilen, befürchtet R. "immer dann, wenn es Shrimpssalat im Knast gibt".
Nur rund 1,5 Kilo Garnelen jährlich verzehren Deutsche pro Kopf.
Für Nicht-Allergiker gelten sie wegen ihres Reichtums an Omega-3-Fettsäuren als gesund. Shrimps-Konsum soll gegen Hautprobleme helfen, Alzheimer vorbeugen und stimmungsaufhellend wirken.
Allerdings warnt das bayrische Justiz- und Verbraucherschutzministerium vorm "Problemfall Garnele": Tropische Shrimps, "egal ob aus Fang oder Zucht" sollte man laut Verbraucher-Informationssystem "nicht kaufen". Gegen sie spreche auch die oft starke Antibiotika-Belastung von Zuchtgarnelen. Ausnahme seien nur "Shrimps mit Biosiegel". (taz)
Für überzogen hält das Anstaltsleiter Bauer. Eine Gefahr bestünde "nur theoretisch" und vor allem: im Knast nicht mehr als draußen. In jedem Supermarkt könne man mit Shrimps in Kontakt geraten. "Wir haben größtes Interesse, dass niemand krank wird", so Bauer.
R. versuchte es auf dem juristischen Weg. Vorm Bremer Landgericht wollte er mit einer einstweiligen Anordnungen die Shrimps-Ausgabe verhindern. Der Richter wies den Antrag Ende Juli als unbegründet zurück. Nach der "nachvollziehbaren Darlegung" der Anstaltsärztin bestehe "nicht einmal bei einem unmittelbaren Hautkontakt eine solche Gefahr", heißt es in der Begründung. Die Anstalts-Medizinerin ist keine ausgewiesene Allergologin. "Es wird nicht blind über etwas entschieden", beschwichtigt Anstaltsleiter Bauer. "Wenn unsere Ärzte es für nötig halten, ziehen sie Fachärzte hinzu."
Darauf, dass man es im Falle Stephan R. getan hätte, fehlt jeder Hinweis. Dabei handelt es sich um ein "explizit allergologisches Problem", so Markus Zutt, Direktor der Klinik für Dermatologie und Allergologie inBremen-Mitte. Und nein, "keineswegs auszuschließen" sei eine Reaktion auf bloßen Hautkontakt informiert er. "Es geht um kleinste Partikel", so Zutt.
Auch Ökotrophologin Sabine Schnadt vom Deutschen Allergie- und Asthmabund bestätigt die Gefahr. Zwar träten lebensbedrohliche Schocks meist nach dem Verzehr auf. Aber es gebe immer wieder Einzelfälle, bei denen schwere Reaktionen schon durchs Einatmen oder die Berührung kleinster Mengen einer Substanz ausgelöst würden - je nach Tagesform, Belastung durch andere Allergien oder seelischen Stress.
Der ist im Knast grundsätzlich erhöht. Zudem hat R. Asthma und andere Allergien, etwa gegen Gräser. Davon bekommt er nur Schnupfen. Bei Shrimps ist das anders. Bis zur Freilassung in sieben Wochen muss er noch bangen: Auch der Justizsenator wies seine Beschwerde zurück. Wegen Unverträglichkeiten einzelner Gefangener die Anstalts-Verpflegung umstellen, das ginge nicht, das könnte ja "zu einer mangelhaften Ernährung vieler Gefangener führen". Shrimps-Mangelerscheinungen sind allerdings unzureichend erforscht.
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