Angriffe auf ukrainisches Energiesystem: Strom- und Heizungsausfälle drohen
Russland nimmt seine Teilnahme am Getreideabkommen mit der Ukraine wieder auf, währenddessen bereitet sich die Ukraine auf Stromausfälle vor.
Angesichts der anhaltenden gezielten Angriffe auf das ukrainische Energiesystem bereitet man sich in der Ukraine auf einen Winter mit Strom- und Heizungsausfällen vor. „Ich habe mich schon mal mit zwei Powerbanks, zwei Taschenlampen und vielen Batterien eingedeckt“, berichtet die 75-jährige Rentnerin Inna der taz.
Sie wohne im zehnten Stock, und da sie schwer zu Fuß unterwegs sei, überlege sie sich jedes Mal neu, ob sie die Treppe in ihre Wohnung zu Fuß erklimmen solle oder lieber den Aufzug nehmen. Sie kenne allerdings Nachbarn, die wegen des Stromausfalls über eine Stunde im Aufzug stecken geblieben seien.
Unwohl ist auch Olexi Kuleba, Chef der Verwaltung des Gebietes Kiew, zumute. In einem Interview mit dem Hromadske Radio berichtet er, dass am 31. Oktober plötzlich 400.000 Bewohner des Gebietes Kiew für mehrere Stunden ohne Strom gewesen seien. Er schloss nicht aus, dass bei weiteren Angriffen auf das Energiesystem eines Tages das gesamte Gebiet Kiew ohne Strom sein könne. Inzwischen habe man in der Region 750 stationäre Heizstellen eingerichtet, so Kuleba. Diese seien mit Generatoren ausgestattet, hätten Lebensmittel und Wasser vorrätig.
Unterdessen berichtet die oppositionelle russische Plattform meduza.io, dass die Getreidelieferungen aus den ukrainischen Häfen wieder aufgenommen werden. Laut dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan habe der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu dem türkischen Verteidigungsminister Hulusi Akar mitgeteilt, dass der humanitäre Korridor wieder in Betrieb genommen werden könne.
Das russische Verteidigungsministerium erklärte seinerseits, Russland habe sich entschlossen, die Vereinbarung über Getreideexporte aus der Ukraine weiterhin mitzutragen, nachdem es über die UNO und die Türkei die erforderlichen schriftlichen Garantien von der Ukraine erhalten habe, dass der Getreidekorridor und die ukrainischen Häfen nicht für militärische Operationen gegen Russland genutzt würden.
Am 29. Oktober hatte Russland seine Beteiligung an dem von der Türkei und den Vereinten Nationen im Juli vermittelten Abkommen über den Export von Getreide und Düngemitteln aus ukrainischen Häfen ausgesetzt. Die russischen Behörden erklärten, sie hätten dies getan, nachdem ukrainische Drohnen Schiffe der Schwarzmeerflotte in Sewastopol angegriffen hätten.
Unterdessen hat das ukrainische Parlament eine Stellungnahme der Europäischen Union zu einem Gesetzesentwurf über die Medien erhalten, der Ende August in erster Lesung verabschiedet worden war, zitiert das Portal strana.news den Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk. Was die Stellungnahme beinhaltet, sagt Stefantschuk indes nicht. Bereits am Dienstag hatte der Nationale Journalistenverband der Ukraine dazu aufgerufen, das Mediengesetz nicht zu verabschieden.
Kritik an geplantem Mediengesetz
Serhiy Shturhetskyi, Chef des Journalistenverbandes, fürchtet insbesondere die besonderen Kompetenzen, die dem Nationalen Rat für Fernsehen und Rundfunk mit dem Gesetz eingeräumt werden sollen. Vier von acht Mitgliedern dieses Rates, so Shturhetskyi auf dem Portal des Verbandes, nsju.org, würden vom Präsidenten ernannt, die anderen vier vom Parlament.
Man fühle sich doch sehr an die Vollmachten von [der russischen Zensurbehörde] „Roskomnadzor“ erinnert, wenn man dem Rat die Entscheidung darüber überlasse, ob Medien geschlossen werden sollen oder nicht, sagte Serhiy Shturhetskyi.
Auch Stanislav Kibalnyk von der Charkiwer Plattform assembly.org.ua kritisierte das geplante Mediengesetz, das, so Kibalnyk, die Freiheiten der Bürger einschränke. „Es scheint, dass Selenski ein kleiner Putin werden will. (…) Offenbar kritisiert die EU die Ukraine für eine weitere Einschränkung der Redefreiheit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Studie zu Zweitem Weltkrieg
„Die Deutschen sind nackt und sie schreien“