Angriff auf Menschen in Hessen: Wieder Schüsse in Hanau
Ein junger Migrant wird in der hessischen Stadt niedergeschossen, die Staatsanwaltschaft sieht kein rassistisches Motiv – der Vater schon.
Der Fall ereignete sich bereits Ende Juni – die Polizei sprach damals noch von „unklaren Tathintergründen“. Am frühen Abend des 20. Juni hatte ein 59-jähriger Österreicher einen 23-jährigen Deutschkolumbianer mit einer Pistole schwer verletzt. Laut Staatsanwaltschaft hatte das Opfer den Schützen zuvor zu dessen Aufeinandertreffen mit seiner Freundin und einer Bekannten zur Rede gestellt. Der 59-Jährige, ein früherer Kampfsportler, wurde nach der Tat festgenommen und sitzt bis heute in U-Haft.
Die Frankfurter Rundschau legte nun offen, dass das Opfer der Ex-Betreiber eines Kiosks im Hanauer Stadtteil Kesselstadt war – in dem beim rassistischen Attentat vom 19. Februar 2020 drei Menschen erschossen wurden. Das bestätigte nun auch die Staatsanwaltschaft der taz.
Laut FR war der Schütze der Nachbar des Niedergeschossenen. Dieser habe im Vorgarten die Freundin des späteren Opfers und deren Bekannte angesprochen. Als der 23-Jährige meinte, er solle die Frauen in Ruhe lassen, habe der 59-Jährige ihn mit der Pistole bedroht, ihm diese erst an den Kopf gehalten und dann in den Oberschenkel geschossen.
Der Schütze soll schon früher auffällig gewesen sein
Laut FR soll der Schütze schon in der Vergangenheit junge Menschen in Hanau bedroht haben. So sei er am 11. Februar 2020 – rund eine Woche vor dem damaligen Attentat – an dem späteren ersten Tatort, einer Bar am Hanauer Heumarkt, aufgetaucht und soll sich dort islamfeindlich geäußert haben. Später soll er zwei jungen Männern bei sich zu Hause eine Axt und Machete gezeigt und sie über Stunden regelrecht festgehalten haben. Bei einem erneuten Besuch in der Bar soll er dort mit einer Machete gedroht haben. Die Fälle sollen auch der Polizei gemeldet worden sein.
Auch in Social-Media-Beiträgen, die der taz vorliegen, äußert sich der Festgenommene einschlägig. In einem Beitrag ätzt er über „Asylanten“, die „Stütze“ bekämen, „während unsere Omas Flaschen sammeln müssen“. Auf Fotos posiert er mit Schusswaffen.
Der niedergeschossene 23-Jährige äußert sich zu dem Fall derzeit nicht. Er war beim Attentat von 2020 nicht in seinem Kiosk und hatte diesen wenige Monate danach aufgegeben. Die FR zitiert seinen Vater, der ein rassistisches Tatmotiv bei den Schüssen vom Juni vermutet. Sein Sohn und der spätere Schütze hätten sonst vorher nie miteinander zu tun gehabt.
Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Hanau sagte der taz, es werde in dem Fall „in alle Richtungen“ ermittelt. Bisher hätten sich aber keine Hinweise auf ein rassistisches Tatmotiv ergeben. Zu Details könne man „aus ermittlungstaktischen Gründen“ keine Auskunft geben. Ermittelt werde wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz.
Deutliche Kritik von SPD und Linken
Linken-Fraktionschefin Kula übt deutliche Kritik. Dass in Hanau erneut ein Mensch aus mutmaßlich rassistischen Motiv niedergeschossen wurde, sei „schockierend“. Ebenso, dass die Abgeordneten daraus aus der Zeitung erfahren mussten. „Innenminister Beuth ist erneut seine Mitteilungspflichten nicht nachgekommen.“ Ein „verantwortungsloser Umgang“ mit rechtsextremer Gefahren sei „seit Jahren traurige Realität in Hessen“. Die Sondersitzung des Innenausschuss müsse nun etwa klären, warum die Staatsanwaltschaft kein rassistisches Motiv sehe.
Auch die SPD-Innenexpertin Heike Hofmann erklärte, der Vorfall schockiere sie. Dass die früheren Auffälligkeiten des Tatverdächtigen zu keinen Konsequenzen führten, werfe Fragen auf. Es müsse dringend geklärt werden, seit wann den Sicherheitsbehörden der Täter bekannt sei. „Es kann nicht sein, dass sich die Landesregierung ob der Vorgänge in Schweigen hüllt.“
Auch Newroz Duman von der Initiative 19. Februar, in der sich Betroffene und Unterstützer*innen des Anschlags engagieren, beklagte gegenüber der taz, „dass schon wieder rassistische Bedrohungen und Warnungen von Betroffenen von der Polizei nicht ernstgenommen wurden“. Dies kenne man bereits aus den Vorgängen rund um den Anschlag von 2020.
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