: Angeschlagen, aber nicht ausgezählt
Achim Züchner, der Langzeitarbeitslose ■ Von Bascha Mika
Rechter Haken, linker Schwinger, ein Schlag in die Magengrube – der Mann geht trotzdem nicht zu Boden. Er taumelt, richtet sich auf, reißt die Deckung hoch. Tänzelnd fixiert er seinen Gegner. „Biste arbeitslos“, sagt Achim Züchner, das Schwergewicht, „isses wie beim Boxen. Liegste erst mal platt auf der Matte, kommste überhaupt nich mehr hoch.“ Also kommt es darauf an, sich nicht k.o. schlagen zu lassen.
Der Arbeitslose an und für sich durchlebt mehrere Phasen: vom Schock über Depression zur Resignation. Doch den Arbeitslosen an und für sich gibt es nicht. Nur jeden einzelnen ganz für sich. Und der ist immer anders, als man denkt.
Achim Züchner ist ein Trumm von einem Mann, versehen mit dieser Art von Kompaktheit, die sich auf ehemals gut trainierten Muskeln absetzt. Er füllt den Raum, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, mit seiner Stimme und seinen Gesten – ein Mensch, den man lieber zum Freund als zum Gegner hat. Freunde hatte er viele, erzählt er, aber aus den alten Zeiten ist kaum noch einer dabei.
Die alten Zeiten – da hat er gearbeitet. Acht Jahre her. „Bißchen zu knabbern hab' ich schon, aber ich tu's ... na ja, nicht verdrängen, aber verarbeiten.“ Drei Ausbildungen hat er, keine nützt ihm mehr was. Mit 36 wollte ihn die Krankenkasse als Schwerbehinderten in Rente schicken, „weil meine Hüften im Arsch sind“. Aber er verlangte einen Job. Damals wußte er noch nicht, daß es für ihn keinen mehr geben sollte.
Zuerst hatte er Schmied gelernt. Das war noch in Berlin-Kreuzberg, wo er 1948 geboren wurde. Gleich nach der Lehre war er arbeitslos, fand es nicht schlimm, sondern reiste hierhin und dorthin, malochte und machte fast alles. Ganz nebenbei legte er seine Gesellenprüfung als Rohrleger ab, „hat mir sehr zugesagt und Spaß gemacht“. Doch dann kam das mit den Hüften dazwischen. Monatelange Krankheit, Operationen, Umschulung. Körperlich schwere Arbeit durfte er nicht mehr machen. Er lernte Informationselektroniker – „war herrliche Arbeit“ – und verdingte sich bei einer Telefonbaufirma. Nach knapp vier Jahren wurde sein Arbeitsplatz abgewickelt. Einen anderen Job wollte er in der Firma nicht haben, er meldete sich arbeitslos. „Mein ganzes Leben hab' ich keine Probleme gehabt, was zu finden. Also war ich optimistisch.“
Dazu hat er inzwischen eigentlich keinen Grund mehr. In dem breitflächigen Gesicht findet sich trotzdem Optimismus, irgendwo zwischen den graugrünen Augen und der Goldkette um den Hals, an der ein winziger Boxhandschuh baumelt. Zwölf Jahre hat Züchner diesen Sport aktiv betrieben, später war er Vorsitzender im Boxverein. Doch auch das hat er aufgegeben, „es war einfach zu teuer“. Er engagiert sich in der Gefangenenhilfe, bei den anonymen Alkoholikern und seit neuestem in der Berliner Arbeitslosenpartei. „Irgendwas muß ich immer tun. Und wenn es was für die Gemeinschaft ist, um so besser.“
Als es über Jahre nichts wurde mit einer neuen Anstellung, versuchte sich Züchner als Selbständiger. Er machte eine Bar mit Spielsalon auf. Oberflächlich betrachtet, paßt das zu ihm, zu der goldfarbenen Seidenwindjacke und dem viereckigen Brustkasten. Ein Typ, der sein eigener Türsteher hätte sein können. „Bin damit fürchterlich auf die Schnauze gefallen. Bin von meinem Partner beschissen worden“, brummt er und grinst sogar dabei ein bißchen.
Im Ring hat er wohl gelernt einzustecken. Richtig gelitten habe er fast nie in den acht Jahren Erwerbslosigkeit, behauptet er. „Na, ja, in den ersten drei Monaten hab' ick och rumgehangen, in Kneipen und so. Aber dann hat meine Frau gesagt: Mensch, was haste dir verändert. Das hab' ich mir durch'n Kopp gehen lassen.“
Vielleicht kann der Boxer mehr vertragen als andere – aber wohl doch weniger, als er selbst glaubt. Zu oft betont er, wie gut er zurechtkommt. Erklärend fügt er schnell hinzu: „Ich kann besser mit der Situation umgehen, weil ich nicht der Norm entspreche.“
Denn der Arbeitslose an und für sich neigt zu Trunksucht, Selbstmord und Kriminalität. So heißt es. Aber es gibt keine Untersuchung für die Bundesrepublik, die das belegt. Auch Züchner kann die Vorurteile herunterbeten: „Erst fühlst du dich nutzlos, dann gibt's Streit in der Ehe, hauptsächlich wegen Geld, dann kommt die Scheidung, die Sauferei und der Absturz.“ Klar, solche Fälle kennt er auch. Doch tatsächlich kommt nur ein Drittel aller Arbeitslosen mit der Situation überhaupt nicht zurecht, das zweite Drittel hat individuelle Probleme, das letzte Drittel kommt gut zu Rande.
Daß Züchner zurechtkommt, liegt, sagt er, „an meiner tollen Frau. Wenn die Beziehung in Ordnung is, is alles nich so schlimm.“ Züchners Frau arbeitet als Verkäuferin. Die einzige Tochter ist bereits aus dem Haus. Er bekommt 998 Mark Arbeitslosenhilfe. „Viele Männer kommen gar nich klar, wenn sie die Hausarbeit machen sollen. Die kriegen schon 'nen dicken Hals, wenn sie mal mit 'nem Einkaufswagen durch Aldi loofen müssen. Na jut, anfangs hab' ick och blöd gekiekt.“
Inzwischen hat er im Haushalt dazugelernt und steht im Ring für ein neues Projekt. Was tut man gegen eine Misere? Züchner: „Man gründet eine Partei!“ Und als Arbeitsloser eben die „Arbeitslosenpartei“. Denn auf dem Arbeitsmarkt müsse alles grundsätzlich umgemodelt und neu verteilt werden. Doch die meisten Betroffenen spielen nicht mit. Nie hätte er geglaubt, erzählt der frischgebackene Parteiaktivist, wie schwer es ist, gerade Arbeitslose zu motivieren. „In diesem Land“, bemerkt er bitter, „rücken sie lieber nach rechts statt links zusammen.“ Er selbst hat bisher immer SPD gewählt, alles, was rechts davon ist, kommt für ihn nicht in Frage. „Ich dachte immer, wenn einer wie ich, der auch in der Scheiße sitzt, denen was erzählt mit ihren eigenen Worten ... Aber sie begreifen trotzdem nichts. Sehen nicht, daß die eigene Klasse gespalten wird: in die, die Arbeit, und die, die keine haben.“
Trotzdem – Züchner geht in die nächste Runde. Angeschlagen, aber noch längst nicht k.o.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen