Angela Merkel und die Gleichstellung: Symbolik statt Geschlechterpolitik
Angela Merkel kokettiert gern mit ihrem Solitär-Status unter Europas Politgrößen. Tatsächlich verhindert sie in Deutschland Gleichstellungspolitik.
Die ersten Frauen im deutschen Parlament erreichten frauenpolitisch nicht sehr viel: Die Weimarer Koalition aus SPD, DDP und Zentrum verabschiedet zum Beispiel ein Gesetz, nach dem Frauen die Männerarbeitsplätze, die sie kriegsbedingt eingenommen hatten, wieder zu verlassen hätten: "In erster Linie muss Frauenarbeit möglichst beseitigt werden", hieß es dort.
Und in der Weimarer Verfassung tauchte ein fatales Wort auf: "Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten." "Grundsätzlich", das hieß, es gibt Ausnahmen: die Pflicht der Frau zur Haushaltsführung etwa oder das Letztentscheidungsrecht des Mannes in der Ehe. Eine fatale Weichenstellung.
Obwohl sich die Bundesrepublik von diesen Verhältnissen weit entfernt hat, lässt sich heute ein ähnliches Muster erkennen: Die weibliche Bundeskanzlerin, die gestern das Frauenwahlrecht feierte, ist Aushängeschild der deutschen Emanzipationsgeschichte. Ein Meilenstein, wie damals das Frauenwahlrecht. Aber frauenpolitisch hat diese Kanzlerin wenig zu bieten.
Dieser Tage verweist Angela Merkel gern auf den Ausbau der Kinderbetreuung und das Elterngeld, die ihre Koalitionsregierung auf den Weg gebracht hat. Allerdings ist beides, international betrachtet, eher eine nachholende Bewegung. Zudem ist die Qualität der neuen Betreuungsplätze zweifelhaft. Weitere frauenpolitische Maßnahmen, gar ein frauenpolitisches Programm, gibt es nicht.
Besonders eklatant ist das Defizit in der Privatwirtschaft in Deutschland. Hier klafft eine der europaweit größten Lücken zwischen Frauen- und Männerlöhnen. Die Chefetagen sind homogen männlich. Andere Länder haben Aktionsprogramme und Zielvorgaben entwickelt: Großbritannien konnte den Unterschied zwischen Frauen- und Männerlöhnen verkleinern. Dort gab es, wie in den Niederlanden, der Schweiz und Schweden, Programme, nach denen ungerechte Löhne neu berechnet - und erhöht wurden. Norwegens Wirtschaftsminister änderte das Aktienrecht: In den Aufsichtsräten müssen beide Geschlechter nun zu mindestens 40 Prozent vertreten sein. Die deutsche Politik sei "schlicht paradox", so Claudia Menne, Vizechefin des Deutschen Frauenrats. "In der Politik hält sogar Angela Merkel Frauenquoten für richtig. Aber bei der Wirtschaft, die genauso männerbündisch funktioniert, sollen Quoten fehl am Platz sein. Das ist ein Irrtum. Auch gut ausgebildete Frauen werden die gläserne Decke nicht allein durchbrechen."
Wer Quoten und Gesetze nicht mag, der kann auf das Konzept der Genderpolitik zurückgreifen, des Gender-Mainstreaming: Alle politischen Vorhaben werden auf ihre Wirkungen auf Männer und Frauen überprüft. Das ist offizielle Regierungspolitik. Nur angewandt wird sie nicht. Die SPD-Frauenministerin Renate Schmidt hatte noch eine Koordinierungsgruppe dazu eingerichtet, ein ExpertInnenzentrum sollte beraten. Das Zentrum wird nicht angefordert, die Koordinierungsgruppe gibt es nicht mehr. Ein gendersensibles Budget sollte eingeführt werden, doch befand das Finanzministerium kürzlich in einer Stellungnahme, dies sei nun doch "nicht sinnvoll": zu kompliziert, so die Begründung. Das Innenministerium hatte als Genderprojekt mal einen gerechteren Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst angekündigt: Doch den blockieren die öffentlichen Arbeitgeber.
Sogar die FDP fordert mehr Frauenpolitik als die Kanzlerin: Sie will das Ehegattensplitting abschaffen, das die Hausfrauenehe zementiert. Kurz: Merkels Frauenpolitik will offenkundig mehr verhindern als bewirken. "Frauenpolitik ist bei Angela Merkel Symbolpolitik", urteilt die grüne Geschlechterexpertin Irmingard Schewe-Gerigk. "Sie zeigt durch ihr Beispiel, dass Frauen es in höchste Positionen schaffen können. Aber bei den tatsächlichen Problemen von Frauen: Fehlanzeige. Alle Anträge zu diesen Themen im Parlament kommen von der Opposition. Von der Regierung: nichts."
Just gestern beschäftigte sich der UN-Frauenrechtsausschuss mit der bundesdeutschen Frauenpolitik. Auch dort wundert man sich, warum es keine Kampagnen gegen Geschlechterstereotype gibt, keine Gleichstellung in der Wirtschaft, keine gleichberechtigte Steuerpolitik. Am 2. Februar wird die Regierung dazu Stellung nehmen. Die Erwartungen an diese Antworten, heißt es aus dem Umfeld der Delegation, seien extrem gering.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid