Angehörige von Politiker:innen: Gemeinsam hassen
Von Boris Johnson bis Otto von Bismarck: Staatslenker:innen und ihre Schwierigkeiten mit dem eigenen Nachwuchs. Von protegieren bis rebellieren.
B oris Johnson hat mehrere Kinder (die genaue Zahl ist umstritten), und eines dieser Kinder war bis vor Kurzem Geschichtsstudent in Cambridge. Im Gegensatz zu seinem Vater erfreute sich der Junge großer Beliebtheit. Die Befürchtung, dass er vom konservativen Premierminister besucht werden könnte, erfüllte sich nicht. Während des dreijährigen Studiums wurde Boris Johnson kein einziges Mal in der Stadt gesichtet.
Küchenpsychologen argumentieren, dass Kinder von Politikern entweder unter elterlicher Vernachlässigung leiden oder, noch schlimmer, zum Nachfolger aufgebaut werden. Andrea Hopp hat jetzt in einer grandiosen Studie (erschienen bei Brill/Schöningh) über die Bismarck-Familie gezeigt, wie fatal es für Ehefrau, Tochter und Schwiegertochter sein kann, „im Schatten des Staatsmannes“ zu stehen.
Für seine Generation war Bismarck ein durchaus typischer Vater: Kinder galten damals als kommodes Eigentum. Man konnte sie durchaus mögen, aber vor allem nutzte man sie für die eigenen Ambitionen.
Inspirierende Kraft des Hasses
Bismarcks Tochter Marie und die Söhne Herbert und Wilhelm mussten ihrem Vater zeitlebens zuarbeiten und seine politischen Überzeugungen bedingungslos teilen. Otto von Bismarck einte das Deutsche Reich, aber er glaubte auch an die inspirierende Kraft des Hasses: „Hass ist ein ebenso großer Sporn zum Leben wie Liebe.“ Im Laufe seines Lebens hasste er Sozialisten, Katholiken, Franzosen und zahlreiche andere „Reichsfeinde“.
Karina Urbach ist Historikerin an der Universität London.
Seine Frau Johanna hasste enthusiastisch mit ihm. Die Kämpfe der Eltern wurden automatisch die Kämpfe der Kinder. Der älteste Sohn, Herbert kompensierte den Druck mit Alkohol. Die Tochter Marie flüchtete sich in Fressattacken und verwahrloste wie Charles Dickens’ gespenstische Romanfigur Mrs. Havisham. Die großen Erwartungen ihrer Eltern erfüllten sich nicht.
Anhand von neuen Quellen zeigt die Historikerin Andrea Hopp uns auch, was aus Bismarcks Schwiegertochter Marguerite wurde. Ausgerechnet die begabte Marguerite trug den Hass in die nächste Generation. Sie schloss die Bismarck-Familie an das NS-Regime an. Wie die Hitler-Verehrerin Winifred Wagner, sah auch Marguerite den Führer als Segen für das deutsche Volk und als attraktive Aufwertung der Familienmarke.
Für Hitler wiederum waren die Gralshüterinnen des Wagner- und Bismarck-Mythos ein prestigeträchtiger Fang. Er versorgte ihre Söhne mit sicheren Posten. Nur zwei Töchter der Gralshüterinnen machten Ärger. Sie lehnten den Nationalsozialismus ab. Was uns wiederum zeigt, wie wichtig es ist, aufsässige Kinder zu haben.
Auch Boris Johnsons Sohn scheint auf seine Art zu rebellieren: Er hat während seines Studiums ein Theaterstück über den Brexit geschrieben. Es soll eine Komödie sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau