Angefeindete Bürgermeister: Im Kreuzfeuer
Viele Menschen, die sich in der Kommunalpolitik engagieren, erleben Anfeindungen. Vor allem Bürgermeister stehen unter Beschuss.
B ürgermeister zu sein, ist der schönste Beruf“, sagt Thomas Zschornak ganz am Ende des Gesprächs. Dieser Satz ist eine Überraschung. Zschornak, 59 Jahre alt, Angehöriger der slawischen Minderheit der Sorben, seit 1990 CDU-Mitglied, sitzt entspannt in seinem Garten. Es ist ein heißer Tag im Sommer 2023, die Sonne steht bereits tief.
Zschornak war seit 1990 Bürgermeister in seiner Heimatgemeinde Nebelschütz, 20 Kilometer von Bautzen entfernt. Zur Wahl 2022 trat er nicht mehr an. Jüngere sollten ran. Den Übergang hatte er geordnet. So glaubte er.
Doch einen Sommernachmittag lang erzählt Zschornak, wie es anders kam. Wie er plötzlich an Krücken ging, an Entzündungen litt, monatelang krank war. Und wie sein Vertrauen in die politischen Institutionen ins Wanken geriet.
60 Prozent der Menschen, die sich in der Kommunalpolitik engagieren, haben bereits Anfeindungen und Aggressionen erlebt, belegt eine Studie der Universität Duisburg-Essen in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung vom Dezember 2022. Aus diesem Grund hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser Ende Januar die Ansprechstelle zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger gestartet, die vom deutschen Forum für Kriminalprävention aufgebaut wird. Es sind Ratsmitglieder, politische Wahlbeamte oder ehrenamtliche Bürgermeister wie Thomas Zschornak, der sich seit fast zwei Jahren gegen anonyme Anfeindungen zur Wehr setzt.
Zschornak kam im Wendejahr 1990 in die Kommunalpolitik. Er hatte den Ehrgeiz, seinem Dorf einen Ausweg zu zeigen aus Abwanderung, Niedergang, Mutlosigkeit – das Gemisch hatte viele Orte erfasst, besonders aber die wenigen sorbischen zwischen Kamenz und Bautzen, wo jeder Wegzug doppelt wog. Die Sorben sind ein winziges Volk. Von 60.000 ist seit Jahrzehnten die Rede, vermutlich sind es weniger.
Die Nebelschützer wählten 1990 einen 26 Jahre jungen Kerl zum Wjesnjanosta, zum Bürgermeister. Irgendwann ließ er in den Balken vom Gemeindehaus hacken: „Za plotom njeschwaj so!“, auf Deutsch: „Pack zu!“
Nach mehr als drei Jahrzehnten ist das Ergebnis eindeutig. Das belegen Auszeichnungen, darunter Landeswettbewerbe und Bundeswettbewerbe, ein europäischer Preis, ein Generationenpreis und ein Zukunftspreis für „enkeltaugliche Energiewirtschaft“.
„Enkeltauglichkeit“ ist Zschornaks Lieblingswort. Busladungen von Gästen hat der Bürgermeister durch Nebelschütz geführt, darunter auch eine taz-Reisegruppe. Thomas Zschornak hat den Kindergarten präsentiert, den Dorfladen, die schattige Bachaue, aber auch die alte Ferkelanlage, aus der eine Garnelenzucht geworden ist. Und im Steinbruch „Krabatstein“ treffen sich alljährlich im August Bildhauer aus aller Welt und verwandeln Granitblöcke zu Plastiken.
Dazu kommen die Energiegenossenschaft und die Flurstücke für das Ökokonto, mit dem die Gemeinde Flächen anbietet für Ausgleichsmaßnahmen, etwa beim Bau von Windrädern. Zschornak hat sich auch inspirieren lassen, hat die Gemeinde geöffnet. Er hat Energieberater eingeladen, Kontakt zu Start-ups geknüpft. Und da in Nebelschütz, sorbisch Njebjelcicy, das Wort Njebjo steckt, zu Deutsch Himmel, heißt der Werbespruch der Gemeinde: „Nebelschütz, vom Himmel geküsst“.
Manchem muss Thomas Zschornak wie ein Zauberer vorgekommen sein, wie ein neuer Krabat, jene sorbische Sagenfigur, über die man Wundersames berichtet. Das Vorbild für Krabat war Johann Schadowitz aus dem 17. Jahrhundert, der vom sächsischen Kurfürsten mit einem Gut in der Oberlausitz belehnt wurde.
„Krabat von Nebelschütz – von der Wahrheit geküsst“ stand auf dem Zettel, der im März 2022 in Nebelschützer Postkästen steckte und „Wahrheiten statt Phantasie“ versprach, vor allem über den horrenden Schuldenstand der Gemeinde und eine angeblich drohende Insolvenz.
Das Pamphlet kündigte Beweise für die Behauptungen an, die am nächsten Tag freigeschaltet werden sollten unter wahrheit-schadowitz.com.
Wer hat die Webseite verfasst? Wer hat vertrauliche Dokumente online gestellt? Wer hat die Zettel verteilt? Eine „investigative Gruppe aus Recherche- und Wirtschaftsspezialisten“, behauptet die Webseite.
Zögerliche Ermittlungen
„Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte“, gesteht Zschornak beim Gespräch in seinem Garten. Seine Familie wurde angegriffen. Sein Sohn hätte billig ein Grundstück erworben, sein Gartenteich wäre illegal angelegt worden. Es ging um angeblich windige Gemeindefinanzen, rechtswidrige Verträge, um Vetternwirtschaft, Amtsmissbrauch, Titelhuberei.
Zschornak erstattet Anzeige gegen unbekannt. Weil die Ermittlungen nur zögerlich anlaufen, sucht er selbst nach Zeugen und beauftragt einen Detektiv. Der recherchiert, die Webseite soll von einer Briefkastenfirma in Prag betrieben worden sein im Auftrag eines slowenischen Geschäftsmanns. Es wirkt wie eine Verschwörung.
Die Landesregierung in Dresden meldet sich. Allerdings anders als von Zschornak erhofft. Das Innenministerium lässt die anonymen Vorwürfe prüfen und beauftragt die Kommunalaufsicht des Landratsamts Bautzen. „Ich habe zwei Monate lang Protokolle geprüft“, erzählt Zschornak. „Ich war ja noch ehrenamtlicher Bürgermeister!“ Und so muss Zschornak wie ein Beschuldigter im Gemeindearchiv nach Entlastendem suchen. Es hat etwas Erniedrigendes.
Hinzu kommen Selbstzweifel. Hat er jemanden verletzt? Jemanden übergangen? Sind ihm Fehler unterlaufen? Hat er Hinweise missachtet? Zschornak exponiert sich beim Serbskj Sejm, der ersten gewählten Volksvertretung der Sorben, die mit Wucht für Minderheitenrechte streitet, was nicht bei allen – auch nicht bei allen Sorben – gut ankommt. Der Sejm hat sich 2018 konstituiert. In Nebelschütz.
Hat sich Zschornak Feinde gemacht? Es gibt eine Vorgeschichte, erzählt er. Nach der Kommunalwahl 2019 ändert sich der Gemeinderat. Neue Mitglieder kommen hinzu. Es gibt Streit. Erste anonyme Anzeigen werden aktenkundig, auch Dienstaufsichtsbeschwerden, dazu Abmahnungen von seinem Vorgesetzten über angebliches Fehlverhalten. Zschornak arbeitet im Verwaltungsverband, zu dem Nebelschütz gehört. „Bei der ersten Abmahnung habe ich noch gelacht.“ Doch das kippte bald. „Ich konnte nichts mehr sagen. Ich habe geweint.“
Im Juli 2022 bekommt Zschornak den Bescheid, dass die „rechtsaufsichtliche Prüfung“ keine persönliche Vorteilsnahme“ und kein „rechtswidriges Handeln“ erkennt. Doch die Webseite bleibt online. Zschornak hat inzwischen Entzündungen am ganzen Körper, seine Knie schwellen an, er geht an Krücken, bekommt Depressionen. Auf Fotos wirkt er deutlich gealtert. Es erscheint alles wie eine Abrechnung. Aber warum jetzt, da Zschornak aufhört?
Es geht offenbar darum, Zschornaks Vision von einer Gemeinde, zugleich bodenständig und weltoffen, traditionsbewusst und zukunftsfähig, zu diskreditieren und ihn politisch zu erledigen. Mit Folgen. Zschornaks Stellvertreter, der für das Bürgermeisteramt kandidieren wollte, zieht zurück. Er war ebenfalls anonym geschmäht worden. In einem Telefonat mit der taz bestätigt er das, nennt aber noch einen weiteren Grund. Dem Dachdeckermeister war klar, dass die Aufgabe im Ehrenamt nicht mehr zu bewältigen sei. Er hatte darauf gesetzt, dass der Gemeinderat den Weg öffnet für einen hauptamtlichen Bürgermeister, gemeinsam finanziert von Gemeinde und Freistaat.
Doch der Gemeinderat lehnt ab. So steht im Juni 2022 nur noch ein Kandidat zu Wahl. Er wird mit mehr als 86 Prozent gewählt.
Verworrene Internetdelikte
Im August 2023 legt der sächsische Rechnungshof einen turnusmäßigen Prüfbericht der Gemeinde vor. Die Behörde moniert fehlende Haushaltsdisziplin, stellt aber fest, dass die Gesamtverschuldung knapp unter dem Richtwert von 850 Euro pro Einwohner liegt, und attestiert Nebelschütz eine „hinreichende Leistungsfähigkeit“ – von Insolvenz keine Rede.
Doch die Beamten finden Kritikwürdiges, etwa mangelnde Aktenführung, anfechtbare Beraterverträge, zu geringe Pachteinnahmen, das Fehlen eines Vertragsregisters. Es sind Kritikpunkte, aber nichts, was Thomas Zschornaks Bürgermeisterzeit nachträglich in Verruf bringen würde. Wer die 63 Seiten allerdings gelesen hat, verspürt keine Lust mehr auf den Job eines ehrenamtlichen Bürgermeisters.
Die Urheber der Webseite sind bis heute unbekannt. Politisch lassen sie sich nicht zuordnen. Zschornak vermutet Personen aus seiner Gemeinde. Kurz nach einem ersten überregionalen Beitrag im Deutschlandfunk verschwindet die Seite im Sommer 2023 aus dem Internet. Wenig später nimmt die Staatsanwaltschaft Görlitz in Zusammenhang mit der anonymen Webseite Ermittlungen gegen Zschornaks Amtsnachfolger und den damaligen Leiter des Verwaltungsamtes auf.
Der parteilose heutige Bürgermeister, von der taz befragt, schweigt zu den Ermittlungen, listet aber alle Verfehlungen aus dem Prüfbericht auf. Der ehemalige Amtsleiter vergleicht die Urheber der anonymen Webseite mit der Investigativgruppe Bellingcat, die unter anderem zu Kriegsverbrechen in der Ukraine recherchiert. „Jegliche Verleumdung ist zu verabscheuen“, bekräftigt er, um anschließend bei Zschornak eine psychische Erkrankung zu insinuieren.
Als „verworren“ bezeichnet der Sprecher der Staatsanwaltschaft Bautzen den Fall und räumt ein, dass Internetdelikte grundsätzlich schwer zu verfolgen seien. Die CDU im Landkreis Bautzen hält sich auffallend zurück, einem langjährigen Kommunalpolitiker beizustehen. Die Geschäftsführerin der Kreisgeschäftsstelle lehnt eine mündliche Stellungnahme ab, eine in Aussicht gestellte schriftliche erfolgt auch nach Tagen nicht.
Thomas Zschornak wirkt in seinem Garten im Sommer erholt und spricht über neue Pläne. Er plant, eine gemeinwohlorientierte Stiftung zu gründen, es geht um natürliche Ressourcen, um das Zusammenleben im ländlichen Raum, um Kommunikation, Beratung, einen Namen hat er schon: „Enkeltauglichkeit“. Er sammelt Stiftungskapital. Und er geht gezielt auf Leute zu, die sich für den neuen Gemeinderat aufstellen lassen, der im Juni 2024 gewählt wird. Vielleicht findet sich dabei jemand, der später einmal in Zschornaks Fußstapfen treten wird. Ein Grund, sich reinzuknien, wird dabei nicht fehlen: „Bürgermeister zu sein, ist der schönste Beruf!“
Die Kampagne gegen Thomas Zschornak mag außergewöhnlich sein, einzigartig ist sie nicht. Mitte Februar 2023 finden sich in verschiedenen Postkästen der Kleinstadt Pulsnitz „Urlaubsgrüße“, angeblich von Bürgermeisterin Barbara Lüke, die sich damals tatsächlich mit ihrer Familie im Urlaub befindet. Die Botschaft: Die Bürgermeisterin ist in der weiten Welt unterwegs und kümmert sich nicht um ihre Stadt. Im Kleingedruckten ist von einer „satirisch künstlerischen Aktion“ die Rede, die Verfasser bleiben anonym.
Vom Urlaub, sagt Lüke, wussten nur die engsten Rathausmitarbeiter und der Ältestenrat im Stadtrat. Im Internet wird die vermeintliche Karte verbreitet. In Pulsnitz ist zu dieser Zeit gerade Wahlkampf, die parteilose Lüke will das Rathaus verteidigen. Mit 58 Prozent wird sie im zweiten Wahlgang bestätigt. Der Herausforderer von der AfD unterliegt deutlich. Sicher war das nicht. Denn Lüke verbringt die entscheidenden Wochen vor der Wahl im Krankenbett.
Hätte sie aufgegeben, hätte damals der erste hauptamtliche AfD-Bürgermeister Deutschlands im Pulsnitzer Rathaus die Geschäfte aufgenommen. Das geschah ein Vierteljahr später in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt.
Zerstörerische Kraft von Falschbehauptungen
Beim Treffen mit der taz ist es Dezember, Barbara Lüke laboriert seit dem Frühjahr am Knie, ihre Gesundheit ist noch nicht wiederhergestellt, das Gehen fällt ihr schwer. Von Pulsnitz nach Nebelschütz sind es kaum 15 Kilometer, beides Orte im Landkreis Bautzen.
Lüke kennt Thomas Zschornak. Gemeinsam mit ihm und zwei weiteren Amtsträgern hat sie dem sächsischen Innenminister Armin Schuster von der CDU im September 2022 einen Brief geschrieben zur „Unterstützung von Bürgermeistern in Bedrohungslagen“. Dabei gehe es nicht nur um „strafrechtliche Aspekte“ oder spektakuläre Einzelfälle“. Mandatsträger fühlen sich bei Gefährdungen alleingelassen, geben auf, treten nicht mehr an. Lüke selbst kann von Eierwürfen auf ihr Haus erzählen, auch von Beschimpfungen auf offener Straße und Unglaublichkeiten in den sozialen Netzwerken.
Solche Anfeindungen hatten ihr bereits im Sommer 2019 zusammen mit anderen eine Einladung zum Bundespräsidenten ins Schloss Bellevue eingebracht. Und im Dezember 2019 lud Frank-Walter Steinmeier zu einer seiner „Kaffeetafeln“ nach Pulsnitz.
Doch das ist nicht der Alltag. „Es sind die vielen kleinen Geschichten, dieses Diffuse, was sich in den letzten Jahren breitgemacht hat“, erzählt Lüke. Es geht um die Unterminierung von Verwaltung, um die Diffamierung von Amtsträgern, um die Diskreditierung von Beschlüssen im Stadtrat. Es ist eine Strategie, bei der man die Verästelungen der Geschäftsordnung und Kommunalverfassungen kennen muss, um zu wissen, wie Stadtratssitzungen protokolliert werden und welch zerstörerische Kraft Falschbehauptungen entfalten können.
Die Methode ist denkbar einfach. „Es müssen auch Falschbehauptungen protokolliert werden, wenn es eine Fraktion wünscht“, erklärt Lüke. Diese Unwahrheiten werden dann Teil der offiziellen Sitzungsniederschrift. Mit Unterschriften versehen sind sie „amtlich beglaubigt“ und Teil einer verborgenen Wirklichkeit. Eine Meisterin dieser geradezu Orwell’schen „Wahrheiten“ ist die AfD, die seit 2019 im Pulsnitzer Stadtrat vertreten ist. Ihr Kopf ist der Fraktionsvorsitzende, ein Bauingenieur, der Lüke im zweiten Wahlgang der Bürgermeisterwahl unterlegen war.
In der Praxis läuft das so ab: Man kann zu jedem realen Sachverhalt im Stadtrat das Gegenteil behaupten und anschließend fordern, dass diese Behauptung ins Protokoll aufgenommen wird. Später kann die AfD dann solche Sätze auf sozialen Kanälen als „unterdrückte Tatsachen“ enthüllen. Die Sitzungsprotokolle haben sich seitdem auf dutzende Seiten aufgebläht. Und wehe, wenn doch noch eine solcher „Tatsachen“ fehlt. Dann beklagt die AfD „frisierte Mitschriften“, verkündet eine „Protokollaffäre“ und leitet eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Bürgermeisterin ein.
Dienstaufsichtsbeschwerden erweisen sich auch sonst als hervorragende Knüppel, Bürgermeister zum Straucheln zu bringen. „Obwohl ich für meine politischen Überzeugungen gewählt wurde, darf ich sie als Bürgermeisterin nicht vertreten“, sagt Lüke. „Denn als Wahlbeamtin bin ich zur Neutralität verpflichtet.“ Ein Paradoxon. „Sobald ich in meiner Amtsausübung etwas sage, was nicht neutral ist, hagelt es Beschwerden, weil ich den Grundsatz der Neutralität verletzt hätte.“ Jemand wie Lüke muss jedes Wort auf die Goldwaage legen. Sie nennt es „Gratwanderung“. Und so findet das Gespräch mit der taz in privater Runde statt – vorsichtshalber.
Ihr Arbeitsplatz, das Rathaus am Markt – es sind eigentlich drei historische Gebäude an der Ostseite des Marktes –, ist seit der Komplettsanierung Gegenstand permanenter Desinformation. Die Steigerung der Sanierungskosten auf 6 Millionen Euro ist bei einer denkmalgerechten Sanierung einer ganzen Häuserzeile in Zeiten von Inflation und rapide gestiegenen Baukosten erklärbar. Inzwischen ist das Ensemble ein Blickfang für den Markt, zudem ein funktionaler Verwaltungsbau in historischem Gewand. Lüke hatte außerdem herausgehandelt, 90 Prozent der Baukosten gefördert zu bekommen.
Für die AfD ist es trotzdem ein „Millionengrab“, für das die Bürger mit höheren Hundesteuern bluten müssten. Ein Protestschreiben gegen die erhöhte Hundesteuer endete „mit deutschem Gruß“. Dass diese Formel in der Bundesrepublik verboten ist, habe er nicht gewusst, entschuldigte sich der „deutsche Steuerzahler“ vor Gericht.
„Wir müssen jedes kleine Mosaikstückchen zusammensetzen und dann gucken, was rauskommt“, sagt Lüke. Für sie ist das Bild eindeutig, es ist eine Form von „Zersetzung“, von „geschulten Leuten“ organisiert und mit einer unheimlichen Ausdauer gegen Amtsträger gerichtet. „Das führt dann dazu, dass sie als Bürgermeister in eine reaktive Position kommen. Sie können nicht mehr agieren.“
Verfahrenstricks, Protokollaffären, Beschwerden – der Pulsnitzer AfD-Fraktionsvorsitzende hat das destruktive Theater inzwischen auf den Landkreis Bautzen ausgeweitet, sagt Lüke. Der Ingenieur wurde 2019 vom Kreistag zum zweiten stellvertretenden Landrat gewählt, mit Unterstützung der CDU-Fraktion. „Und dann sagt man mir: Dramatisieren Sie doch nicht so viel! Die müssen mal die Augen aufmachen.“ Barbara Lüke weiß, dass sie in solchen Momenten wie eine Kassandra wirkt.
Vermutlich sieht die Juristin, Jahrgang 1968, tatsächlich vieles klarer. Sie stammt aus Marburg in Hessen, zog im Jahr 2000 nach Pulsnitz, ihre Tochter wurde hier geboren. Lange noch pendelte sie nach Leipzig zur Sächsischen Aufbaubank, wo sie eine leitende Position innehatte. Erst 2016 wird sie als Quereinsteigerin, unterstützt von einem kommunalen Bündnis, zur neuen Bürgermeisterin gewählt. Auslöser für ihr Engagement war die beabsichtigte Schließung einer Grundschule.
Es gibt aber noch einen anderen, einen familiären Hintergrund. „Mein Vater, Jahrgang 1910, hat mich in die Politik gebracht. Er hat genau mitgekriegt, wie das ‚Dritte Reich‘ entstanden ist“, erzählt sie. „Und ich habe permanent Déjà-vus.“
Etwa ein Drittel ihrer Stadträte tragen sich mit dem Gedanken, im Frühjahr aufzuhören, sagt Lüke – keine Zeit, zu alt, keine Motivation. „Wir können eigentlich nur damit motivieren, dass wir sagen: Platz nehmen, kein Vakuum lassen!“ Jeder, der geht, macht möglicherweise Platz für einen AfD-Kandidaten. Wirklich einladend klingt das nicht. Derzeit hat die AfD drei Stadträte. Doch sie trommelt schon lang für „neue politische Verhältnisse“ im Juni 2024.
Auf das Schreiben an Innenminister Schuster 2022 hat Lüke keine Antwort erhalten. Doch inzwischen mehren sich die Zeichen, dass die Landespolitik die Gefahr für die „Keimzelle der Demokratie“ – so die in Festreden gern verwendete Umschreibung für Kommunalpolitik – erkannt hat. Thomas Zschornak hat Anfang Februar mit dem Koordinator für Opferschutz der sächsischen Polizei gesprochen, und ein CDU-Landtagsabgeordneter, Mitglied im Innenausschuss, hat ihm Unterstützung zugesagt. Für Februar hat das sächsische Innenministerium eine Konferenz zur Sicherheit von kommunalen Amts- und Mandatsträgern angekündigt.
Sie ist auch nötig. Im Dezember erhält der ehrenamtliche Ortsvorsteher von Dörgenhausen, einem Dorf im nördlichen Teil des Landkreises Bautzen, eine anonyme Aufforderung zum Rücktritt. In dem Schreiben heißt es, der Ortsvorsteher habe seine Machtposition für eigene Interessen ausgenutzt, „ohne daran zu denken, dass wir EINE Gemeinschaft und EIN Dorf sind“. Es ist überhaupt viel von „Gemeinschaft“ die Rede. Unterschrift: „Ein besorgter Bürger, der das ausspricht, was Bürger unseres Dorfes denken.“
Ortsvorsteher Eugen Diesterheft berichtet der taz am Telefon, dass er den Brief sofort der Polizei übergeben habe. „Offene Kritik, ja“, sagt Diesterheft. „Aber anonyme Angriffe?“ Es ist wie ein Übel, wie Fäulnis. „Wenn das durchkommt, wer soll sich da noch als Ehrenamtlicher aufstellen lassen?“
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