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Anfechtung eines Milieus

Die Schwäche der PDS macht ihre politischen Gegner munter. SPD und Grüne hoffen, die Partei im Osten zu ersetzen

von JENS KÖNIGund PATRIK SCHWARZ

Ein gewisser Wolfgang Berghofer trifft sich am 18. Januar 1990 mit den ehemaligen DDR-Oppositionellen Martin Gutzeit und Markus Meckel. Berghofer ist Oberbürgermeister von Dresden und stellvertretender Chef der frisch umbenannten SED-PDS. Gutzeit und Meckel haben ein paar Monate zuvor, noch unter konspirativen Umständen, eine ostdeutsche SPD gegründet. Berghofer macht den Sozialdemokraten ein Angebot. Er will zur SPD überlaufen und verspricht, gleich noch dreißig Kombinatsdirektoren mitzubringen. Berghofers einzige Bedingung: Seine neue Partei möge den kollektiven Übertritt doch mit einem Vorstandsbeschluss absegnen. Meckel und Gutzeit lehnen ab. Solche Entscheidungen würden die junge Partei zerreißen, sagen sie. Drei Tage später erklärt Berghofer seinen Rücktritt als stellvertretender PDS-Chef und steigt ganz aus der Politik aus.

Über zwölf Jahre lang haben sich die Sozialdemokraten immer wieder diese eine Frage gestellt: Wären sie heute ein Problem namens PDS los, wenn sie Wolfgang Berghofer damals in ihre Partei aufgenommen und damit ein Zeichen an alle SED-Reformer gesetzt hätten? Im September 2002 haben sie endlich eine Antwort gefunden: Die Frage interessiert sie nicht mehr. Sie haben jetzt nämlich eine viel größere Chance, sich die PDS vom Hals zu schaffen.

Der Instinktpolitiker Gerhard Schröder hat das bereits in der ersten SPD-Fraktionssitzung nach der Wahl als Ziel ausgegeben. Die PDS müsse „mittelfristig überflüssig“ gemacht werden, hat der Parteichef seinen Abgeordneten gesagt und hinzugefügt: „Wir müssen denen, die da noch aktiv sind, Perspektiven bieten und um sie werben.“ Die Genossen von Gregor Gysi, bundesweit unter fünf Prozent gerutscht und in ihrem Zuhause, in Ostdeutschland, von der SPD vernichtend geschlagen – diese Chance, die PDS auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen, will sich Schröder nicht entgehen lassen. Und in seinem Schlepptau befindet sich wieder einmal der große Sucher historischer Veränderungen: Joschka Fischer.

Seine lupenrein westdeutschen Grünen haben im Osten fast fünf Prozent der Stimmen geholt und versuchen jetzt, sich auf Kosten der PDS dauerhaft in Ostdeutschland festzusetzen. Fischer hat Werner Schulz, den grünen Ostexperten, schon gefragt, ob er nicht PDSler kenne, die er zu den Grünen rüberziehen könnte. Ralf Fücks, Chef der grünen Böll-Stiftung, umreißt die Größe der Aufgabe so: „Mit der Niederlage der PDS und dem relativ guten Ergebnis der Grünen im Osten hat sich ein historisches Fenster geöffnet. Wir Grünen haben die einmalige Gelegenheit, im Osten endlich Fuß zu fassen.“

Katrin Göring-Eckardt aus Thüringen, die Fraktionschefin ihrer Partei werden will, beschreibt das als eine „strategische Aufgabe“. Sie hat dafür eine Zielgruppe ausgemacht, die ihr, der 36-Jährigen, nahe steht. „Wir müssen uns auf die Nachwendegeneration konzentrieren, die politisch nach 1989 geprägt wurde“, so Göring-Eckardt. „Für die stellen die Grünen keine Anfechtung ihres Lebensstils dar.“ Das bundesweite Schicksal der PDS, glaubt sie, sei besiegelt. Auf Dauer werde das nicht ohne Auswirkung auf deren Stärke in den Ländern bleiben. Fücks sieht im Osten jene „postmateriellen Milieus“ entstehen, die schon im Westen den Aufstieg der Grünen begründet haben. Dank dieses „Resonanzbodens“ kämen die Grünen „heraus aus der Marginalisierung“.

Da ist möglicherweise viel Wunschdenken im Spiel. Das trifft auch auf die SPD zu, bei der sich, gemessen an der großen historischen Aufgabe, kaum neue prickelnde Ideen zum Thema finden. Beim Umgang mit dem Osten versucht es die Partei mit einer Art Dreipunktestrategie. Erstens umwirbt sie, ohne konkrete Angebote zu unterbreiten, die reformerischen Kräfte der PDS. Dabei ist nicht ganz zu ersehen, wie groß die SPD den möglichen Effekt eines prominenten PDS-Überläufers einschätzt. Hoffentlich nicht zu groß, denn die Neigung der Genossen Sozialisten zu spektakulären Parteiübertritten geht gegen null. Zweitens fordern die ostdeutschen Sozialdemokraten mehr Einfluss in der Bundespartei. Sie wollen am liebsten das Verkehrs- zu einem Infrastrukturministerium umbauen und den Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee zu dessen Chef machen. Tiefensee jedoch, ganz Ostdeutscher, verkündet schon seit Tagen, er wolle lieber in Leipzig bleiben. Und drittens will die Ost-SPD endlich die Forderungen umgesetzt sehen, mit denen sie in ihrer Partei schon seit Monaten hausieren geht. Sie reichen von der Ost-West-Lohnangleichung bis 2007 über einen Ost-Schwerpunkt im Bundesverkehrswegeplan bis hin zu Beschäftigungsprogrammen für arbeitslose Jugendliche im Osten.

Die Ostdeutschen in der SPD tragen ihre Forderungen mittlerweile selbstbewusst vor. Ihr stärkstes Argument ist dabei ausgerechnet ein Gespenst. „Wir haben massiv Vertrauen gewonnen“, sagt Brandenburgs ehemaliger Ministerpräsident Manfred Stolpe, „aber das können wir genauso massiv und genauso schnell wieder verlieren, wenn die Wähler im Osten ihre Interessen nicht vertreten sehen.“ Wer diese Wähler gegebenenfalls wieder einsammelt, sagt Stolpe nicht. Aber er hofft, dass es Schröder klar ist. Die SPD kann die PDS vielleicht kleinhalten – aber sie kann sie mit Sicherheit auch wieder großmachen.

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