Anerkennung von Berufskrankheiten: Bürger müssen geschützt werden

Viel zu selten werden Berufskrankheiten anerkannt. Die „Initiative kritischer Umweltgeschädigter“ stellt sechs Forderungen auf.

Asbest! Arbeiter einer Spezialfirma reinigen Bücher aus einer Bibliothek, die mit den giftigen Fasern belastetet ist. Bild: dpa

Die Behandlungskosten von Menschen, die berufsbedingt durch giftige Stoffe geschädigt wurden, gehen in die Milliarden. Ebenso verhält es sich mit den Kosten für die Frühverrentungen. Derzeit werden diese enormen Kosten für Krankenbehandlung und Frühverrentung in den allermeisten Fällen noch von der Allgemeinheit getragen.

Die manipulierten und gefälschten Diagnoseleitlinien und Gutachten entlasten die chemische Industrie und die von den Arbeitgebern finanzierten Berufsgenossenschaften (BG) in zweistelliger Milliardenhöhe und sind somit gesellschaftspolitisch überaus relevant.

In ihrer Wirkung stellen sie nicht nur eine versteckte Subvention der heimischen Industrie dar, sie offenbaren auch das dahinter stehende System. Schon als es in den siebziger Jahren darum ging, ob man Asbest verbieten sollte, hat man sich aufseiten der Politik bewusst dafür entschieden, die wirtschaftlichen Interessen einzelner Industriezweige über die Interessen und die Gesundheit der Bürger zu stellen. Dem ist Einhalt zu gebieten. Aber wie?

Die Tatsache, dass das „alte“ Merkblatt zur BK 1317 gefälscht war und es deswegen im Jahr 2005 neu verfasst werden musste, erweckte bei Zehntausenden Menschen die Hoffnung auf Anerkennung ihrer berufsbedingt durch Lösungsmittel erworbenen Nervenschäden. Leider war es zu unserem Bedauern so, dass sich die Berufsgenossenschaften in Tausenden Verfahren nicht an die Änderung im neuen Merkblatt hielten, und Schadenersatzansprüche weiterhin mit dem Argument, „Progression (Fortschreiten) der Nervenschäden spricht gegen Lösemittel als Ursache“ ablehnten.

Die BG gab eigene Begutachtungsrichtlinien wie den Berufskrankheiten-Report (BK-Report 2/07) und Fachpublikationen in Auftrag. Auch dort stehen alle Verantwortlichen (Herausgeber und Autoren) in direkter oder indirekter (wirtschaftlicher) Verbindung zu den Berufsgenossenschaften.

Die Demokratie hat ein Nachwuchsproblem. Heißt es. Dabei gibt es sie: Junge Menschen, die in eine Partei eintreten. Die sonntaz hat sechs von ihnen begleitet – bis zu ihrem ersten Wahlkampf. Die Titelgeschichte „Wer macht denn sowas?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 24./25. August 2013. Darin außerdem: Ein Gespräch mit der Ethnologin Yasmine Musharbash über Monster, und ein Porträt über Wolfgang Neskovic, der einst aus der Linksfraktion ausbrach. Außerdem der sonntaz-Streit zur Frage: Braucht Deutschland Coffeeshops? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Falsch zitierte Studien

Wir, die Initiative kritischer Umweltgeschädigter e. V. haben, nachdem wir von einen BK-1317 Verfahren am Landessozialgericht Stuttgart Kenntnis erlangt haben (das die BG als Präzedenzfall für das alte Merkblatt aufbauen wollte), Strafanzeige wegen Ausstellung falscher Gesundheitszeugnisse gemäß Paragraf 278 StGB gegen die Gutachter erstattet. Da die Gutachter in den Gerichtsunterlagen nur mit Abkürzungen genannt waren, mussten wir Anzeige gegen unbekannt erstatten.

Die Negativgutachter in diesem Verfahren haben sich in ihren Ablehnungsbegründungen sowohl auf das alte Merkblatt, als auch auf den BK-Report 2/07 berufen. Der Richter am Stuttgarter Landessozialgericht bezog sich in seiner Urteilsbegründung mehrfach auf das ablehnende Gutachten von Prof. T., welcher eben genau die schon im alten Merkblatt falsch zitierten Literaturquellen (Chang, Passero, Valentino) als Beleg dafür anführte, dass lösungsmittelbedingte Nervenschäden nach spätestens zwei Jahren folgenlos ausgeheilt wären.

Wir haben uns dann erlaubt, der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart eben diese von Prof. T. falsch zitierten Studien im Original, das heißt im Volltext per Einschreiben zu übersenden. Der Sicherheit halber haben wir die Fraktion der Linken im Deutschen Bundestag darum gebeten, diese vier Studien vom wissenschaftlichen Sprachendienst des Deutschen Bundestags übersetzen zu lassen. Trotzdem wurde uns noch am gleichen Tag des Eingangs unserer Beweismittel per Post mitgeteilt, dass kein Straftatbestand vorläge.

Die von uns wegen Ausstellung falscher Gesundheitszeugnisse angezeigten Professoren hätten sich keiner Straftat im Sinne des Paragrafs 278 StGB schuldig gemacht, weil sie die Studien richtig zitiert hätten!

Für viele Versorgungsfragen sind in Deutschland die Sozialgerichte zuständig. So muss auch vor ein Sozialgericht, wer Erwerbsminderung oder seine Rente nach einer Berufskrankheit erstreiten muss. Bei der Entscheidung, ob ein Giftstoff am Arbeitsplatz eine Krankheit ausgelöst hat oder haben könnte, verlassen sich Sozialrichter meist auf einen Gutachter. Häufig sind das jedoch Gutachter, die mit den Berufsgenossenschaften in Verbindung stehen – just denjenigen Organisationen, die die Schäden von berufsbedingten Krankheiten bezahlen müssten. Die Beklagten sind also wesentlich an der Erstellung von Gutachten beteiligt. Die Berufsgenossenschaften werden zu 100 Prozent von ihren Mitgliederfirmen getragen.

Strafe für die Fälschung von Gutachten

In Anbetracht all dieser belegbaren Tatsachen hinterlässt das wegweisende Urteil des Bundessozialgerichts von Ende Juli einen bitteren Nachgeschmack. Da wird fortwährend von „neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen“ geschrieben. Tatsächlich ist es aber doch so, dass diese Kenntnisse seit dem Jahr 1998 bekannt sind und vorher in mehr als zehnjähriger Arbeit vom Sachverständigenbeirat zusammengetragen wurden.

Wir als IKU fordern von der Politik und der Justiz, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland vor weiteren Straftaten zu schützen, indem folgende Maßnahmen ergriffen beziehungsweise geltendes Recht umgesetzt werden muss:

1. Wer Gutachten fälscht oder Literaturquellen falsch zitiert muss wegen Verstoß gegen § 278 StGB verfolgt werden. Dem ausstellenden Gutachter ist eine einmalige Gelegenheit zur Korrektur zu gewähren. Staatsanwälte, die sich weigern, einer solchen Strafanzeige inhaltlich tatsächlich zu überprüfen, setzen sich den Verdacht/Tatvorwurf der Strafvereitelung im Amt aus.

2. Gerichte und Institutionen (Berufsgenossenschaften, Ministerien) ist es gesetzlich zu untersagen, nachgewiesenermaßen gefälschte Gutachten und Expertisen als Entscheidungsgrundlage zu nutzen. Richter, die entsprechende Fälschungshinweise ungeprüft ignorieren, sind automatisch als befangen zu erklären. Institutionen, die gefälschte Gutachten oder Expertisen trotz entsprechender Hinweise entscheidungsbegründend verwenden, sind zwingend amtsrechtlich zu belangen.

3. Richter, die anstatt ihrem Amtseid entsprechend Bundesrecht umsetzen, von einer Partei verfasste Diagnoseleitlinien (z. B. BK-Report 2/07) oder Fachpublikationen entscheidungsbegründend anwenden, sind automatisch wegen Befangenheit aus dem Verfahren zu entfernen. Die Ablehnung eines Richters läuft im Sozialgerichtsverfahren über die Anwendung des § 42 der Zivilprozessordnung (ZPO).

4. Professoren, die nachweislich gegen das öffentliche Interesse verstoßen, indem sie systematisch falsch negative Gutachten erstellen oder falsch negative Expertisen veröffentlichen, sind ihrem Amt in der Universität zu entheben, und verlieren wegen ihres die Gesellschaft schädigenden Handelns all ihre Pensionsansprüche. Außerdem müssen sie ihr zu Unrecht erworbenes Vermögen der Staatskasse übergeben – Gutachten sind gut bezahlt.

5. Richter, die in von einer beklagten Partei wie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) oder einer Berufsgenossenschaft herausgegebenen Publikation gegen Honorar Artikel veröffentlichen oder sich sonst in irgendeiner Weise mit einer Prozesspartei wirtschaftlich verbinden, sind als befangen zu erklären.

6. Alle beteiligten Gutachter und Richter müssen, auf Anfrage, eine „Conflict of Interest“-Erklärung abgeben, das heißt, sie müssen nachweisen, dass sie keine finanzielle, persönliche oder publizistische Beziehung zu einer Prozesspartei aufweisen.

Was nützt es, wenn wir von der IKU fortwährend Fälschungen und Betrug nachweisen, wenn diese Erkenntnisse gar nicht oder mit acht Jahren Verspätung umgesetzt werden. Wir nehmen das Urteil des Bundessozialgerichts und die daraus folgenden Auslegungen der Berufsgenossenschaften als einen späten Erfolg unserer Arbeit. Es wäre schön, wenn wir einmal nicht mehr vonnöten wären.

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