Androhung militärischer Gewalt: Türkei drängt Syrien auf Auflösung kurdischer Milizen
Vertreter Ankaras drohen Damaskus mit militärischen Mitteln, sollten in Syrien kurdische Milizen bestehen bleiben und die Grenzregion kontrollieren.
Gleich im Dreierpack rückten Anfang dieser Woche die für die türkische Außen- und Sicherheitspolitik verantwortlichen Minister in Damaskus an, um die dortige Regierung mehr oder weniger ultimativ aufzufordern, die kurdischen Demokratischen Streitkräfte (SDF) endlich aufzulösen. Geschehe dies nicht wie versprochen bis Ende des Jahres, müsse die Türkei militärische Mittel in Erwägung ziehen.
Außenminister Hakan Fidan, Verteidigungsminister Yaşar Güler und Geheimdienstchef İbrahim Kalın trafen sich einzeln mit ihren syrischen Counterparts, dann noch einmal gemeinsam. Zuletzt trafen sie Syriens Präsidenten Ahmet al-Sharaa. Die Türkei pocht auf ein Abkommen von März. Darin hatten al-Sharaa und der kurdische Generalkommandant Mazlum Abdî vereinbart, dass die kurdischen Streitkräfte bis Ende dieses Jahres mit Syriens neuer Armee verschmolzen werden sollen.
Letztere besteht im Wesentlichen aus den islamistischen HTS-Kämpfern, die al-Sharaa schon vor dem Fall von Assad in Idlib kommandiert hatte. Die SDF bestehen vor allem aus kurdischen YPG-Kämpfern, die wie Abdî selbst oft aus Reihen der PKK stammen.
Die Unterschriften auf dem Abkommen waren noch nicht trocken, als die HTS-Kämpfer von al-Sharaa massiv gegen Alawiten vorgingen und auch im Kampf gegen die syrischen Drusen heftig mitmischten. Darauf gingen die Kurden auf Distanz zu dem Abkommen, blieben aber mit al-Sharaa im Gespräch. Kurz bevor dieser am 10. November zu seinem Treffen mit US-Präsident Donald Trump in Washington aufbrach, soll es nach kurdischen Angaben zu einer neuen Absprache zwischen al-Sharaa und Abdî gekommen sein.
Informelle Absprache unter US-Vermittlung
Unter Vermittlung des US-Botschafters in der Türkei, Tom Barrack, der auch für Syrien zuständig ist, sollen sie sich auf Folgendes geeinigt haben: Die Kurden unterstellen sich dem Oberbefehl aus Damaskus. Dafür behalten sie drei Divisionen unter eigenem Befehl. Eine soll für die Grenzsicherung zur Türkei und dem Irak zuständig sein, eine andere für die Antiterrorbekämpfung vornehmlich gegen den IS und eine weitere ist eine eigene Frauendivision, die es schon gibt. Alle anderen Einheiten würden aufgelöst.
Die Antiterrordivision soll eng mit al-Sharaas Truppen kooperieren, die beiden anderen Divisionen selbstständig das kurdische Einflussgebiet östlich des Euphrats kontrollieren. In dieses bisherige kurdische Selbstverwaltungsgebiet würden keine anderen Truppen der neuen syrischen Armee einrücken.
Nach kurdischer Darstellung sei al-Sharaa in den Wochen nach seiner Rückkehr aus Washington von dieser mündlichen Einigung wieder abgerückt. Das hängt sicher auch mit der Türkei zusammen. Deren Regierung will kein kurdisches Autonomiegebiet entlang ihrer Grenze akzeptieren und dort erst recht keine kurdischen Truppen. Stattdessen fordert sie, wie mit der PKK vereinbart, die Auflösung der kurdischen Milizen und die vollständige Integration der Kämpfer in die neue syrische Armee, welche die Kontrolle über das heutige kurdische Autonomiegebiet übernehmen soll.
Der Nachbar Israel mischt auch mit
Laut syrischem Verteidigungsminister Murhaf Abu Kasra weigert sich die SDF, ihre Milizen aufzulösen. Während die Türkei am Montag unter Androhung militärischer Gewalt genau darauf drängte, fordert nach Angaben aus kurdisch/arabischen Medien Washington al-Sharaa auf, die von Tom Barrack vermittelte Einigung mit den Kurden umzusetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass Israel offenbar im Hintergrund den Kurden den Rücken stärkt, während es zugleich mit al-Sharaa über ein Sicherheitsabkommen verhandelt.
Der türkische Außenminister Hakan Fidan wirft den Kurden vor, Syrien mit Unterstützung Israels spalten zu wollen. Dass es vor Jahresende noch eine Einigung gibt, scheint ausgeschlossen. Ob der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dann im neuen Jahr, wie angedroht, noch einmal Truppen nach Nordostsyrien marschieren lässt, hängt im Wesentlichen von Trump ab. Soll neuer Krieg vermieden werden, muss der für einen Interessenausgleich zwischen Erdoğan, al-Sharaa, Netanjahu und den Kurden sorgen. Am Montag kam es in Aleppo zu Zusammenstößen zwischen Kämpfern der SDF und der syrischen Armee. Es gab drei Tote.
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