piwik no script img

Andreas Speit Der rechte RandWie die Querdenker neue Felder besetzen

Sie haben gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie protestiert, Maskenpflicht und Impfregelungen abgelehnt: Im Winter 2021/2022 gingen Tausende selbsternannte Querdenker auf die Straße. Die Covid-19-Pandemie? In ihren Augen eine „geplante Panikmache“. In Norddeutschland etablierten sich verschiedene Organisator*innen, Hamburg wurde zu so was wie der Hauptstadt der Bewegung. Alleine am 8. Januar 2022 folgten hier rund 16.000 Menschen dem Aufruf zur Demo „Das Maß ist voll – Hände weg von unseren Kindern“. So viele wurden es nicht mehr. Die Frage ist: Wo sind die alle hin?

Die Querdenker sind aus der politisch bewussten Mitte der Gesellschaft entstanden. Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung über die Querdenken-Bewegung in Baden-Württemberg, deren Ergebnisse auch auf Hamburg übertragbar sind, zeigt auf, dass sich die Bewegung aus vier Milieus zusammensetzt: dem alternativen, dem anthroposophischen, dem christlich-evangelikalen und dem bürgerlichen Milieu. Diese Milieus haben sie nicht verlassen. Heute tragen einzelne Aktive von damals Anti-Kriegsprotest wegen des russischen Angriffs auf die Urkaine mit, andere stehen zur Free-Palestine-Bewegung. Andere bemühen sich, freie Schulen oder Tagungszentren zu eröffnen. Eine Querdenkerin kandidierte im Februar für „Die Wahl für Frieden und soziale Gerechtigkeit“ bei der Hamburger Bürgerschaftswahl.

Die Hinwendung zu anderen Themen war bereits vor dem offiziellen Ende der Pandemie-Maßnahmen im April 2023 erkennbar. In ihren Telegramm-Kanälen wetterten die Querdenker über Klima- und Gender-Wahn, sie verknüpften den russischen Angriffskrieg mit der Coronapandemie und das „Bürger Bündnis Hamburg – Wir stehen auf“ führte 2023 bei Telegramm aus, dass „wir von den Medien“ „gefüttert“ werden, „um Israels Krieg gegen den Gaza zu rechtfertigen“.

Foto: Jungsfoto: dpa

Andreas Speitarbeitet als freier Jour­nalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.

Bis heute sind die Querdenker mit ihren Telegram- und Facebook-Accounts präsent. Der „Labberkanal HH“ zum Beispiel stellte in diesem Jahr fest, dass die Schulbildung ein „System für völlig Verblödete“ sei, in dem „fein auswendig“ gelernt werde, „was die globalen Verbrecher vorgeben“, die Bilder zu „9/11 sind computeranimiert“ und das Attentat auf Charlie Kirk? Soll der Mossad gewesen sein.

Verschwörungsnarrative sind der Kitt der Bewegung und führten zur Radikalisierung. 2021 erschoss ein Querdenker einen Tankstellenverkäufer in Idar-Oberstein, um „ein Zeichen“ gegen die Coronapolitik zu setzen. Heute sind einige Querdenker längst im Spektrum von Reichs­ideo­lo­g*in­nen angekommen. Vor Gericht standen und stehen Männer und Frauen, die einen „Tag X“ planten. Einer verletzte im Schusswechsel einen Polizeibeamten.

Verschwörungsnarrative sind der Kitt der Bewegung, die zur Radikalisierung führte

Die Studie „Verschwörungsglaube als gesellschaftlicher Risikofaktor“ offenbarte in diesem Jahr, dass alleine 61 Prozent der Befragten „teils/teils“ bis „(sehr) wahrscheinlich“ fanden, dass „geheime Organisationen“ großen Einfluss auf politische Entscheidungen hätten. Die Querdenker? Sind noch da.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen