Andreas Neuendorf soll Hertha retten: Zecke ist zurück
Andreas "Zecke" Neuendorf soll Herthas Profis auf die Sprünge helfen. Bei den Fans ist das gelungen: Wenn er den Sportplatz betritt, werfen alte Damen mit Schneebällen.
![](https://taz.de/picture/286215/14/zecke_re.20101220-17.jpg)
Als einer der Letzten kommt er aus der Kabine, breitbeinig, die Arme weit vom Körper abgespreizt. Er geht nicht wie ein 35-jähriger Fußballprofi. Eher wie ein Jugendlicher, der nicht weiß, wohin mit seiner Kraft. Auf dem Weg über das Trainingsgelände von Hertha BSC grüßt er jeden Zuschauer, als würde er ihn kennen. Er winkt, kurzes "Hallo!". Einfach, direkt, freundlich.
Er, das ist Andreas Neuendorf, genannt Zecke. Fußballprofi, gebürtiger Berliner. Von seinen bisher 16 Profijahren hat er 8 für Hertha gespielt. Seit diesem Sommer ist er zurück, nach drei Jahren in der Zweiten und Dritten Liga beim FC Ingolstadt. Als er den Sportplatz betritt, saust ein Schneeball durch die Luft und platscht knapp hinter ihm auf den Rasen. Eine alte Dame in sonnengelbem Filzmantel reibt sich die kalten Hände. "Schön, dass Zecke wieder hier ist." Seit Jahren geht sie zur Hertha. Wenn es nicht so recht läuft, verteilt sie Glückspfennige an Spieler und Trainer. Seit der Abstiegssaison hat es genügend Anlässe gegeben. An Zecke hat sie bessere Erinnerungen. Einmal sei er auf ihren Wunsch sogar als Überraschungsgast zum 60. Geburtstag einer Freundin gekommen. "Da ist der extra nach Tegel gefahren. Da war was los."
Der Sportplatz ist notdürftig vom Schnee geräumt. Im Hintergrund schimmert blass die graue Silhouette des Olympiastadions. Die Spieler stehen am Mittelkreis, unterhalten sich, lachen. Mittendrin hockt Zecke und dehnt seine Beine. Am Seitenrand stellt sich ein älterer Mann in schwarzem Ledermantel unter das Dach einer ausrangierten Bushaltestelle. Es zieht.
"Scheißwetter", sagt er. Seine kurzen grauen Haare hat der Wind ein wenig zerzaust. Das Gesicht ist von der Kälte rot gescheckt. "Nur als Idiot geht man hier hin." Er lacht. Es klingt wie ein Räuspern. Auch er kommt regelmäßig zum Training, einmal in der Woche. Bis vor einigen Jahren ist er auch zu den Heimspielen gegangen. "Aber dann haben sie immer mehr Spieler gekauft. Da war mir irgendwann zu wenig Leidenschaft dabei." Zecke sei da anders. "Das ist ein Straßenfußballer." Es ist ein Lob.
Bei eisiger Kälte und Schneetreiben kommt das Trainingsspiel nur langsam in Gang. Zwei Mannschaften spielen auf jeweils zwei kleine Aluminiumtore, so groß wie Kellerfenster. Zecke hält sich zurück. Auf der rechten Seite läuft er auf und ab, lauert. Wenn er den Ball kriegt, spielt er ihn direkt ab. Aus Zweikämpfen hält er sich raus. Nur selten ruft er seinen Mitspielern etwas zu. Das Spiel ist mäßig, es gibt viele Fehlpässe, wenige Tore.
Dass Zecke hier überhaupt wieder mitmacht, ist aus der Not geboren. Als er im August nach drei Jahren zurückkommt, ist er nur Stand-by-Profi, ein Auslaufmodell, das die Nachwuchsmannschaft lenken soll. Doch auch unter den Profis fehlt es derzeit an Lenkern. Die, die extra gekauft wurden, sind verletzt oder schwächeln. Aber der Wiederaufstieg ist Pflicht.
Jetzt ist er wieder mittendrin und soll für gute Laune sorgen. Und das tun, wofür Zecken sonst gefürchtet sind: anstecken. "Er spricht die Sprache der Fans", sagt der ältere Herr an der Seitenlinie am Spielfeldrand. "Für die Spieler ist er als Motivator und Seelsorger wichtig."
Nach einer Stunde ist das Training vorbei. Zecke bleibt noch auf dem Platz und schießt einen Ball nach dem anderen von rechts in den Strafraum, wo Stürmer Rob Friend versucht, das Tor zu treffen. Er scheint jetzt erst richtig warmzulaufen. Wie ein kleiner Junge auf dem Bolzplatz kommentiert er jede Aktion: "Scheißbälle", mault er, als ihm eine Flanke misslingt. Die meisten Spieler haben das Feld bereits verlassen und sind schon in der Kabine verschwunden. "Noch mal! So hören wir nicht auf", feuert er den glücklosen Stürmer an, als der wieder einmal den Ball weit neben das Tor schießt. Es bleibt nicht bei einer Wiederholung. Und noch mal! Bis der Ball endlich im Tor landet.
Als er vom Platz trabt, erwarten ihn nur noch fünf Fans am Spielfeldrand. Er begrüßt sie alle per Handschlag, schreibt Autogramme und lässt sich mit ihnen fotografieren. Bevor er nach links zur Kabine abbiegt, macht er noch einen kleinen Umweg. Mitten auf der verschneiten Zufahrtsstraße zwischen den Sportplätzen sitzt ein junger Mann mit blau-weißer Hertha-Bommelmütze im Rollstuhl. Zecke klatscht mit ihm kameradschaftlich ab. Der Rollstuhlfahrer strahlt zufrieden: "Schön, dich wieder hierzuhaben, Zecke!"
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