Andreas Hergeth Der Wochenendkrimi: Wenn derliebe Großvater ein perfektesDoppelleben führt
Endlich mal was Neues im „Tatort“-Universum. Und das in zweierlei Hinsicht. Mit „Dunkelheit“ gibt nicht nur das neue Ermittlerduo aus Frankfurt am Main seinen Einstand. Die Krimireihe betritt Neuland: Melika Foroutan als Maryam Azadi und Edin Hasanović als Hamza Kulina ermitteln in alten, ungeklärten Mordfällen.
Zum Auftakt geht es drastisch zu: Opa ist gestorben. Tochter und Enkelin müssen eine Garage ausräumen, da unterbricht ein grausamer Fund jäh ihr Tun. Die nächste Szene zeigt das Übliche: Die Garage ist nun ein Fundort, die Spurensicherung rückt an, Routine halt. Was dann folgt, ist alles andere als Dutzendware für einen Sonntagabendkrimi.
Zunächst aber lernen wir die Neuen kennen. Hamza Kulina sitzt bei seiner Vorgesetzten. „Das wird ihnen gefallen“, sagt sie, eine spannende Aufgabe wären diese alten Fälle. Kulina hat darauf keinen Bock, das sieht man, aber er muss, für mindestens einen Monat – da stimmt doch was nicht. Irgendwie wurde er strafversetzt (warum, klärt sich später auf). Er schnappt sich seine Kiste und nimmt den Fahrstuhl – in den Keller. So viel Klischee darf sein. Da unten werden nun mal in aller Welt die Cold Cases bearbeitet. Man hat aber schon schlimmere Keller gesehen. Wie zuletzt in der brillanten britischen Serie „Dept. Q“ (bei Netflix). Und da rückt schon Maryam Azad an, telefonierend winkt sie mit dem Finger, mal mitkommen …
Es wird grausam: Ein Frauenkörper wurde vor etlichen Jahren mit einer Säge zertrennt. Der Täter hat Organe entnommen, Zähne gezogen, mit Nägeln eine Art Muster in Körperteilen hinterlassen. Sie lagerten in luftdichten Tonnen. Das kommt bis auf eine Minisequenz ohne entsprechende Bilder aus. Die braucht es auch gar nicht, um den sadistischen Schrecken darzustellen und Spannung aufzubauen.
Maryam Azadi und Hamza Kulina arbeiten vor allem mit analogen Akten und Köpfchen. Immer, wenn wir die beiden im Keller bei der Arbeit sehen, ist das als Kammerspiel inszeniert, das ist toll und nie langweilig. Sie identifizieren das Opfer und stellen fest, dass die „Handschrift“ des Täters an andere ungelöste Mordfälle erinnert, und kommen so einem berüchtigten Serienmörder auf die Spur, dem Main-Ripper. Der „liebe Opa“ hat also ein perfektes Doppelleben geführt. Krass! Das Wort benutzt Kulina öfter.
Ein dramaturgischer Trick treibt die Handlung voran. Weil in drei Tagen eine Pressekonferenz zur Lösung dieses einen Falles aus der Vergangenheit stattfinden soll, geraten die beiden unter Zeitdruck. Ihnen bleiben drei Tage, um alle weiteren möglichen Opfer des Serientäters zu identifizieren. Das ist ihnen ein tiefes Bedürfnis, wohl auch aus persönlichen Gründen.
Mehr und mehr Fotos wandern an die Pinnwand. Sie arbeiten akribisch, gehen die alten Akten immer wieder durch, fragen bei Zeugen von damals oder den Menschen nach, die einen ihrer Lieben verloren haben. Oft müssen sie sich dabei fragen, warum damals Hinweisen nicht nachgegangen wurde. Das ist emotional aufwühlend, und ja, auch spannend in Szene gesetzt. Selbst das Aktenwälzen.
Das gilt ebenso für den Erzählstrang, bei dem es um das Privatleben des aus Bosnien-Herzegowina stammenden Ermittlers Kulina geht. Ihn nehmen die Ermittlungen immer mehr mit. Die Auflösung ist herzzerreißend. So wie andere Szenen. Vor allem jene, in denen die Ermittler den immer noch trauernden Angehörigen endlich die Gewissheit überbringen, wer der Täter war. Das drückt auf die Tränendrüsen. Nicht nur deshalb eine rundum gelungene Premiere.
Frankfurt-„Tatort“: „Dunkelheit“, So., 20.15 Uhr, ARD
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