Andrea Petkovic bei den French Open: Das Ende der Sinnkrise
Andrea Petkovic spielt im Viertelfinale in Paris gegen die Italienerin Sara Errani. Vor einem Jahr noch wollte die Deutsche aus Frust ihre Karriere beenden.
PARIS taz | Zoran Petkovic kann sich noch „verdammt genau“ an die Tennistage in Paris erinnern, vor einem Jahr und zwei Wochen. An die French Open, die für seine Tochter vorbei waren, ehe es auf der großen Grand-Slam-Bühne überhaupt so richtig losging. An die zweite Qualifikationsrunde, in der sie gegen die Chinesin Zhou auf Außenplatz 6 vor einem Häuflein eiserner Fans scheiterte. Die Stunden danach, die Tage danach.
Vater Petkovic erzählt: „Da war Andy ganz unten, das war schlimm.“ So schlimm, dass der Weg von der Niederlage fast geradewegs in einen Abschied vom Tennis geführt hätte: „Innerlich“, sagt die 26-Jährige, „hatte ich schon zwei, drei Mal die Kündigung unterzeichnet. Ich war mit mir und der Tenniswelt nicht mehr im Reinen. Es gab keinen Spaß mehr, keine Hoffnung.“
So herrlich unberechenbar kann der Sport sein, so grausam und so wunderschön. Denn bei den French Open ist aus der zweifelnden, rätselnden und frustrierten Athletin wieder eine geworden, die ganz große Ziele anvisieren kann und auch dort siegt, wo es zählt – bei den Grand-Slam-Turnieren.
Die Nummer 136 der Welt war Petkovic, als sie im Stadion Roland Garros 2013 die große Sinnkrise erfasste, die Nummer 29 ist sie in diesen Frühlingstagen, wo sie nach vier Siegen endlich wieder ein Major-Viertelfinale erreichte. Und nun am Mittwoch gegen die laufstarke, zähe Italienerin Sara Errani anzutreten hat, die 2012er-Finalistin und letztjährige Halbfinalistin.
In puncto Zähigkeit und Willensstärke allerdings muss sich Petkovic vor niemandem verstecken, jene Stehauffrau, die zuletzt Verletzungspech hatte wie keine Zweite im Frauentennis. Doch sie kämpfte weiter, immer weiter. In jüngeren Jahren war sie schon vom Verletzungspech geplagt. Und doch war Petkovic mit so viel Mumm und Courage ausgestattet, dass sie einfach nicht unterzukriegen war.
Ein Karriere-Ultimatum
Als sie noch als Teenagerin unterwegs war in der weiten Welt des Wanderzirkus, kokettierte Petkovic gern mit den vielen Alternativen zum Berufstennis. Sie setzte sich sogar mal ein Ultimatum, verlangte sich einen Platz unter den Top 50 ab, „sonst höre ich auf und mache was anderes“. Tennis allein schien ihr damals nicht zu genügen, und so begann die Einser-Abiturientin nebenher ein Fernstudium der Politikwissenschaften.
Auch ein Praktikum in der Hessischen Staatskanzlei des einstigen Ministerpräsidenten Roland Koch legte sie zwischendurch ein. Später, als sie schwerer verletzt war, wochen- und monatelang in abgelegenen Provinzorten ihre Rehazeit absolvierte, begriff sie, wie sehr sie sich in ihr selbst getäuscht hatte: „Als ich weg war von der Tour, habe ich erst gemerkt, was mir Tennis bedeutet. Tennis ist mein Leben – und nichts anderes.“
Petkovic ist eine Exotin. Wo andere in ihren Pressekonferenzen die beidhändige Rückhand oder die Beschaffenheit des Sandplatzes diskutieren, spricht sie, wie nach ihrem Achtelfinalsieg gegen die Holländerin Kiki Bertens, auch über Johann Wolfgang Goethe, David Foster Wallace oder Friedrich Nietzsche. Petkovic ist schon immer ein Liebling der Medien gewesen, und sie ist es jetzt, nach ihrer mitreißenden Rückkehrstory ins große Tennis, umso mehr.
Englands Journalist Neil Harman sagt über Petkovic bewundernd: „Ihr Deutschen seid gesegnet mit einer Spielerin wie ihr.“ Wobei Petkovic den Hype um sich auch ganz gut einzuordnen weiß. „Wenn meine Kumpel lesen, ich sei eine Intellektuelle, lachen die sich sowieso tot.“
Ihre beste Freundin im Tennis, die kämpferische, aber doch auch kühle Norddeutsche Angelique Keber, ist ganz anders als Petkovic, aber zwischen die beiden passt kein Blatt Papier: „Mit ihr kann ich über alles sprechen. Ich wundere mich selbst manchmal, dass so eine tiefe Freundschaft im Tennis möglich ist.“
Aufstieg nach dem Fall
Überhaupt: Der Fed Cup, ihre vielbeschworenen „Ollen“ im Team, die Chefin Barbara Rittner. Sie sind alle nicht ganz unbeteiligt am Aufstieg nach dem Fall Petkovics, jener erst kreuzunglücklichen, nun wieder kreuzfidelen Charakterdarstellerin. Mit Petkovic hatte einst „das deutsche Fräuleinwunder“ auf den Centre Court begonnen, die Südhessin zog danach ihre Kolleginnen mit nach oben: „Sie haben an Andreas Beispiel gesehen, was möglich ist“, sagt Rittner.
In der Petkovic-Krise zahlten die anderen Deutschen zurück, gaben Zuspruch, warnten sie vor einem Rücktritt, der sie „todunglücklich“ (Julia Görges) machen werde. Im Frühjahr 2014 passt wieder alles zusammen, was zusammengehört: Petkovic und das große Tennis, Petkovic und die großen Siege. Auch dank Trainer van Harpen, der vor drei Monaten das Kommando übernahm. „Vor einem Jahr habe ich Tennis gehasst“, sagt Petkovic. Und jetzt, ist es eine neue Liebe? „Ich weiß nicht, das ist ein großes Wort.“
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