piwik no script img

André GorzDoppelselbstmord in Liebe

Der 84 Jahre alte französische Sozialphilosoph und seine schwer kranke Frau wurden in ihrem Haus tot aufgefunden.

Gorz und seine Frau 1998. Bild: A.Gorz

PARIS/TROYES dpa/afp/taz - Der französische Philosoph André Gorz hat sich im Alter von 84 Jahren gemeinsam mit seiner schwer kranken Frau Dorine das Leben genommen. Das berichtete am Montag die Online-Ausgabe der Zeitschrift Le Nouvel Observateur, die Gorz mitgegründet hatte, unter Berufung auf seine Angehörigen.

Eine Freundin des Paares sei am Montag Morgen zu ihrem Haus in Vosnon im Nordosten Frankreichs gekommen und habe an der Eingangstür die Botschaft vorgefunden, Besucher sollten "die Polizei verständigen". Die Leichen der beiden alten Leute hätten Seite an Seite gelegen. Sie hatten mehrere Briefe an Freunde hinterlassen.

Gorz wurde unter dem Namen Gerard Horst in Wien geboren. Sein Vater war jüdisch, seine Mutter katholisch, sie schickten ihn während des Krieges auf ein Schweizer Internat. Gorz stand lange dem französischen Philosophen Jean-Paul Sartre nahe. 1954 erhielt Gorz die französische Staatsbürgerschaft. Zu seinen bekanntesten Werken zählen "Arbeit zwischen Misere und Utopie" und "Abschied vom Proletariat".

Gorz' aus England stammende Frau war seit mehreren Jahren schwer krank und litt unter anderem an Krebs. Einige Tage vor dem Freitod habe er einer Freundin geklagt, dass sich der Zustand seiner Frau Dorine immer weiter verschlechtere, berichtete der Le Nouvel Observateur.

Im vergangenen Jahr veröffentlichte Gorz eine bewegende Liebeserklärung an seine Frau unter dem Titel "Brief an D.". "Bald wirst Du jetzt zweiundachtzig sein. Du bist um sechs Zentimeter kleiner geworden, Du wiegst nur noch fünfundvierzig Kilo, und immer noch bist Du schön, graziös und begehrenswert. Wir leben seit 58 Jahren zusammen und ich liebe Dich mehr als je zuvor. Erst kürzlich habe ich mich erneut in dich verliebt", heißt es darin. Von "Briefe an D." hatte Gorz gesagt, es sei sein unwiderruflich letztes Buch. Darin schreibt er, an seine Frau gerichtet: "Ich will nicht bei Deiner Einäscherung dabei sein; ich will kein Gefäß mit Deiner Asche erhalten."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • MI
    Monika Ickler

    War Gorz in Liebe, Leben, Lifestyle und 'labour' nicht ein vollendeter Romantiker.

    'Das Ideal ist lebbar' war doch für ihn deshalb nicht nur ein irreales Credo, weil er seine blaue Blume längst entdeckt hatte!

     

    Ob seine letzten Biefe an die weiteren Nahestehenden irgendwann auch veröffentlicht werden? Ich wäre ja zu neugierig!

  • F
    flor

    Schade in eurer Zeitung das Wort Selbstmord zu lesen. Das ist doch kein Mord. Zwei liebende Menschen haben gemeinsam von der Welt Abschied genommen.

  • J
    Jan

    "Wege ins Paradies" hieß sein Buch, das so etwas wie die politisch-philosophische Grundlage der Alternativprojektbewegung der 80er Jahre wurde. (Nachdem er vorher, mit "Abschied vom Proletariat", die linken Traditionalisten verschreckt hatte und ständig mit der DGB-Jugend diskutieren musste...) Sein Ansatz, über nichtkapitalistische Inseln innerhalb des Kapitalismus das System zu verändern, hatte zwar den Nachteil, auf Dauer nicht zu funktionieren, aber gleichzeitig den Vorteil, mit diesem ganzen "Es-gibt-kein-richtiges-Leben-im-Falschen"-Unsinn aufzuräumen. Gorz war erfrischend, weil was er sagte, wirklich möglich schien, und zwar jetzt gleich!

    Nun hat Gorz seinen Weg ins Paradies gefunden, mit seiner Frau gemeinsam. Passt zu ihm.