Analyse: Der Traum der Brüder
■ Iraks Versöhnung mit Syrien hat vor allem wirtschaftliche Gründe
Am Anfang sollten alle wieder Brüder werden. Als Michel Aflak und Salah al-Bittar 1942 im Untergrund von Damaskus die Baath-Partei gründeten, wollten sie an vergangene große Zeiten anschließen. Baath, das heißt so viel wie Wiedergeburt. Wiedergeboren werden sollte die vorgeblich von Osmanen und britischen und europäischen Kolonialherren zerstörte arabische Einheit – so wie einst unter den Khalifen, den Nachfolgern des Propheten Mohammed. Ein arabisches Reich von Mauretanien bis zum Irak sollte den Kolonialmächten und später Israel trotzen. Daß sich dabei vor allem der in Paris studierte Aflak ideologisch und rhetorisch kräftig bei den europäischen Nationalisten bediente, tat der Forderung nach arabischer Eigenständigkeit keinen Abbruch.
Doch auf den Traum folgte das Morgengrauen. Wie schon zu Khalifenzeiten zeigte sich, daß auch unter Arabern soziale, kulturelle und wirtschaftliche Differenzen größer sind als die vermeintliche Zusammengehörigkeit durch Sprache, Geschichte und das vielbeschworene gemeinsame Blut. Nur in Syrien und im Irak kam die Partei an die Macht, und dort in Form zweier heillos zerstrittener Flügel. Im Irak herrscht unter dem Banner der vermeintlich wahren Lehre mit Saddam Hussein einer der brutalsten Despoten dieser Erde. Und die in Damaskus ansässigen ehemaligen Linksabweichler wurden unter Hafis al-Assad zur ideologiefreien Familiendiktatur. Von arabischer Einheit keine Spur.
Dennoch war sich Iraks Vizepremier Tarik Asis am Wochenende nicht zu schade, bei einem Besuch in Damaskus Syrien einen „Bruderstaat“ zu nennen. Zur Erinnerung: Während des ersten Golfkriegs – Irak gegen Iran – stellte sich Syrien auf die Seite der nichtarabischen Islamischen Republik. Und im zweiten Golfkrieg – Irak gegen weite Teile der Welt – kämpften Syrer Seite an Seite mit US-Soldaten.
Bereits im Mai öffneten Syrien und Irak ihre 17 Jahre gesperrte Grenze. Getrieben wurden sie von wirtschaftlichen Interessen. Laut UN-Beschluß darf der Irak innerhalb von sechs Monaten Öl im Wert von zwei Milliarden US-Dollar verkaufen und dafür Lebensmittel und Medikamente erstehen. Syrien will bei diesem Geschäft nicht außen vor bleiben. Die erste irakische Handelsdelegation, die im Mai Damaskus besuchte, kam mit Kaufverträgen für Lebensmittel und pharmazeutische Produkte im Wert von 20 Millionen US-Dollar zurück. Irak würde gerne sein Erdöl wieder durch eine seit 1982 vor sich hin rostende Pipeline zum syrischen Mittelmeerhafen Tartus fließen lassen. Syrien dürfte dafür Gebühren kassieren. Um diese gemeinsamen Interessen politisch zu verpacken, wird nun ein wenig an den alten Traum erinnert. Das Erwachen kommt bestimmt. Thomas Dreger
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