Analyse: Zurück zum Bodenrecht
■ Frankreichs Parlament reformiert das Staatsangehörigkeitsgesetz
Eine halbe Woche lang haben die Abgeordneten der französischen Nationalversammlung um die Reform des Gesetzes über die Staatsangehörigkeit gerungen. Heute abend werden sie mehrheitlich das von der sozialistischen Justizministerin Elisabeth Guigou eingebrachte Vorhaben absegnen. Damit kehrt Frankreich zu seinem 1993 eingeschränkten Prinzip des „Bodenrechts“ zurück: Wer im Land als Kind von Ausländern geboren ist, wird mit dem 18. Geburtstag automatisch Franzose. Weitere Reform: Mit Franzosen verheiratete Ausländer können nach einem Jahr Ehe die französische Staatsangehörigkeit bekommen.
Das im Laufe der Jahrhunderte mehrfach modifizierte ius solis unterscheidet Frankreich seit seiner Revolution von den deutschen Nachbarn, die bis heute das ius sanguinis praktizieren. Dieses „Blutrecht“ gewährt zwar den seit Generationen im fernen Osten Europas lebenden „Deutschen“ die Staatsangehörigkeit, verweigert sie aber „Türken“, die in zweiter Generation in Deutschland zur Welt kommen.
Wer in Frankreich das „Blutrecht“ postuliert, gilt als rechtsextrem. Bei der Debatte in der Nationalversammlung waren sich alle Demokraten einig, als der einzige Abgeordnete der Front National sprach. Jean-Marie Le Chevalier verlangte die Abschaffung des „Bodenrechtes“, um „Europa vor der afrikanischen Invasion“ zu retten.
Entgegen parlamentarischen Gepflogenheiten brachten daraufhin Abgeordnete ihre persönlichen Lebenswege als Argumente gegen das „Blutrecht“ in die Debatte: Der konservative Abgeordnete Paecht (UDF) ließ wissen, daß in seinen Adern „kein Tropfen französisches Blut“ fließe, da er als Kind als einziges Mitglied seiner verfolgten Familie aus Österreich gerettet worden sei. Justizministerin Guigou (PS) erinnerte an ihren italienischen Großvater. Und Lokalpolitiker Kossowski (RPR) an den seinen, der 1914 aus Weißrußland geflohen war. Die Auftritte brachten in Erinnerung, daß Frankreich ein Einwanderungsland ist und einen großen Teil seiner republikanischen Identität aus der Integration verschiedener Kulturen schöpft.
Dennoch ist Frankreichs Ausländerpolitik nicht vor fremdenfeindlichen Ressentiments gefeit. Dafür hat die Debatte der letzten Tage, in denen sich rechte und linke Abgeordnete gegenseitig wahltaktisches Kalkül und insgeheimes Kokettieren mit der Front National unterstellten, einen Vorgeschmack geliefert. Wenn das Parlament ab Donnerstag über das von Innenminister Jean-Pierre Chevènement leicht reformierte Ausländergesetz berät, werden die Wogen hochschlagen. Auch im Einwanderungsland Frankreich haben Demagogie, Parteitaktik und Leidenschaften die Oberhand in der Ausländerdebatte gewonnen. Dorothea Hahn
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