Analyse: Vorauseilend gehorsam
■ Hongkong "wählt" erstmals für Chinas Nationalen Volkskongreß
Hongkonger lernen schnell. Als die südchinesische Metropole noch eine britische Kolonie war, wurden die 36 Abgeordneten, die Hongkong in den Nationalen Volkskongreß nach Peking entsenden durfte, von der chinesischen Regierung ernannt. Erstmals seit Hongkong am 1. Juli zur chinesischen Sonderverwaltungszone wurde, durfte gestern die Stadt ihre Abgeordneten für das chinesische Parlament, von manchen als Scheinparlament bezeichnet, bestimmen. Damit es dabei nicht etwa zu für Peking unangenehmen Überraschungen kommt, waren Sicherungen eingebaut worden.
Zunächst wurde die Zahl der Wahlberechtigten auf 424 Personen begrenzt, die von Peking oder pekingnahen Persönlichkeiten handverlesen wurden. Zu diesem Auswahlkomitee zählen viele einflußreiche Geschäftsleute und Vertreter prochinesischer Organisationen. Bei denen durften sich sich dann 72 Kandidaten und Kandidatinnen bewerben. Um in die engere Wahl zu kommen, mußten sie von mindestens zehn Mitgliedern des Auswahlkomitees nominiert werden. Dazu bedurfte es vor allem guter Beziehungen. Pech für die drei Kandidaten der Demokratischen Partei. Diese hatte zwar die letzten Wahlen unter britischer Herrschaft gewonnen, jetzt erhielten ihre Vertreter aber jeweils nur maximal drei Nominierungen und schieden damit aus.
Aus den verbliebenen 54 Kandidaten und Kandidatinnen wurden gestern dann die 36 Abgeordneten ermittelt. And the winner is: Jian Enzhu. Wer den nicht kennt, braucht sich nicht zu schämen. Vor sechs Monaten kannte ihn in Hongkong auch niemand. Denn Jian zog erst vor kurzem im Auftrag Pekings nach China, um nach dem Souveränitätswechsel die Leitung des Hongkonger Büros der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua zu übernehmen. Jetzt darf er mit 94 Prozent der Stimmen des Auswahlkomitees Hongkong in Peking vertreten. Jians (fast) realsozialistisches Wahlergebnis entbehrt dabei nicht einer gewissen Pikanterie. Denn wie einer seiner Vorgänger nach der Flucht in die USA enthüllte, ist der Xinhua-Bürochef in Hongkong traditionell der Vorsitzende des Hongkonger Komitees der Kommunistischen Partei Chinas. Diese ist offiziell in Hongkong nicht vertreten, inoffiziell soll sie etwa 30.000 Mitglieder haben. Zu Kolonialzeiten vertrat Xinhua in Hongkong auch die Interessen der chinesischen Regierung und trat als deren Botschafter auf.
Das Interesse in der Hongkonger Öffentlichkeit an den „Wahlen“ zum Volkskongreß war gering. Debatten über die Rolle der Hongkonger Abgeordneten in Peking hat es mit Ausnahme der Demokraten nicht gegeben. Offenbar wußte die Bevölkerung, daß das Auswahlkomitee in vorauseilendem Gehorsam entscheiden würde. Wie gesagt, Hongkonger lernen schnell. Sven Hansen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen