Analyse: Stillstand
■ Nordirlands Friedensprozeß ist noch nicht tot, aber er lebt auch nicht mehr
Man quält sich in Nordirland so über die Runden. Zwar will keine der beteiligten Parteien den Friedensprozeß für tot erklären, aber in den Ghettos, wo der Konflikt seit 30 Jahren ausgetragen wird, glaubt niemand mehr daran, daß er noch lebt. In Derry, der zweitgrößten nordirischen Stadt, flogen in der Nacht zu gestern 1.000 Molotow-Cocktails, die Polizei feuerte Hunderte von Plastikgeschossen ab.
Auslöser war wieder mal eine protestantische Parade. Diesmal feierte man die Niederlage des protestantischen „Verräters“ Lundy, der Derry vor rund 300 Jahren kampflos an die Katholiken übergeben wollte. Da die Parade dicht an katholischen Wohnvierteln vorbeiführen sollte, organisierten die Anwohner eine Gegendemonstration, die von der Polizei trotz ziemlich rücksichtslosem Einsatz nicht in Schach gehalten werden konnte. Es gab ein Dutzend Verletzte, darunter ein elfjähriger Junge. Der Sachschaden geht in Millionenhöhe, 13 Leute wurden festgenommen.
Die Krawalle sind ein Symptom für grundlegendere Probleme. Seit nunmehr drei Jahren gelingt es nicht, die Frage der umstrittenen Paraden in Nordirland zu lösen, weil die protestantischen Organisationen auf „freier Entfaltung ihres kulturellen Erbes“ beharren und sich weigern, mit den betroffenen Anwohnern in den katholischen Vierteln überhaupt zu reden.
Das setzt sich auf höherer politischer Ebene fort. Zwar sitzen die Unionisten mit Sinn Féin, dem politischen Flügel der IRA, seit September an einem Tisch, aber sie verweigern den direkten Kontakt. Das würde lediglich den Größenwahn des Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams fördern, behaupten sie. Und der sei schon groß genug, nachdem er am Donnerstag von Tony Blair als erster Sinn-Féin-Führer seit 1921 in der Downing Street empfangen worden ist.
Der Empfang war eine symbolische Geste, doch mit Symbolik geben sich die katholischen Ghettos nicht mehr zufrieden. Die Dissidenten, die Sinn Féin und die IRA im Oktober und November verließen, haben inzwischen einen „Rat der 32 Grafschaften“ – also Gesamtirlands – gegründet, der demnächst in Belfast einen Parteitag abhalten will. Die Dissidenten fordern den Rückzug Sinn Féins aus den Mehrparteiengesprächen, jedoch nicht die Beendigung des Waffenstillstands. Auch der wird allerdings langsam brüchig. Die IRA hat das Training wieder aufgenommen und neue Waffen beschafft. Im März will die Organisation über den Fortbestand der Waffenruhe entscheiden.
Mitte dieser Woche findet die letzte Sitzung am Runden Tisch in Belfast in diesem Jahr statt. Bisher werden die Gespräche geheimgehalten. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, daß es nichts zu berichten gibt. Ralf Sotscheck
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen